Freitag, 23. August 2019

Deutscher Buchpreis 2019- Leseprobenheft zur Longlist. Teil 1


 Die Longlist für den Deutschen Buchpreis ist da und es gibt wieder ein gratis Heft mit Leseproben aus den 20 nominierten Büchern. Hier gibts eine Liste der Buchhandlungen, in denen man es sich holen kann. Ich habe meins wie immer aus der Buchhandlung OCELOT in der Berliner Brunnenstraße.

Ich werde wieder die 20 Buchanfänge lesen und je zwei Kommentare abgeben:

1: Würde ich nach der ersten Seite weiterlesen? . Ich persönlich entscheide normaler Weise immer spätestens nach einer Seite.

 2: Würde (oder werde) ich nach der ganzen Leseprobe in diesem Heft weiterlesen ? Die Proben scheinen immer die tatsächlichen Buchanfänge zu sein und sind jeweils ca. 5 Seiten lang.
Falls ich schon etwas über die Bücher weiß- zB schon Kritiken gelesen habe-  werde ich versuchen, es bei der Lektüre der Anfänge zu vergessen. Nur eins der Bücher ("Herkunft" von Sasa Stanisic) habe ich schon zur Gänze gelesen- da werde ich versuchen, mich an das erste Lesen des Anfangs zu erinnern.

Ich werde spontan entscheiden, ob ich weiterlesen will und dann "in mich gehen" und kurz beschreiben, wie meine Entscheidung zustande gekommen ist.

Wenn ich alle durchhabe, werde ich meinen Tipp für die  Short-list abgeben. Über Diskutanten, Mit-  und Gegentipper in den Kommentaren würde ich mich freuen!

Ich gehe nach der Reihenfolge im Buch vor. Die ist alphabetisch.

NORA BOSSONG   Schutzzone

1: ja

2: ja

1: Der Text nimmt mich sofort für sich ein, trifft den richtigen Ton. Eine Person spricht vom Ankommen in Burundi im Jahr 2012; davon, wie unterschiedlich die Menschen das Land wahrnehmen: 
".. und die einen sahen zuerst die Schönheit der grünen Hügel, die anderen den Konvoi mit den Flüchtlingen, die zurückgeführt wurden, und keine Meldestelle hatte offen, sie wurden einfach von der Laderampe ins Nichts entlassen, und das Nichts war ebenfalls grün, und das Grün war schön, man möchte mit der Hand über die Hügel streichen, so schön sind sie, wie über die Wange eines Geliebten...".
Die Stimme vermittelt sehr eindrücklich das gleichzeitige Eintauchen in eine menschenfeindliche, chaotische Situation und in die magische Schönheit Afrikas. Indem die Erzählerin lange nur von "den einen" und "den anderen" spricht,  bevor das erste Mal ein "ich" auftaucht, zieht sie mich in die Widersprüche hinein und in die Unmöglichkeit überhaupt noch ein konsistentes Gefühl zu haben.  Wie sie mitten im Satz vom Imperfekt in die Gegenwart rutscht:  "..und das Grün war schön, man möchte mit der Hand über die Hügel streichen, so schön sind sie"- das erwischt mich sofort- ich will weiter hören, was sie erzählt. 

2: Es geht genauso an- und hineinziehend weiter: scheinbar ungeordnet bekommt man eine Menge Informationen: Burundi, sie war Teil einer UN Kommission, "damals dachten wir noch..." Menschenrechtsverletzungen, ein Tribunal, ein Abgeordneter, den sie für einen von den Guten hält, eine Frau, die ihre Hand hält und sagt: "Aber es wird ein Urteil geben?". Die Fakten erscheinen nur spärlich und diskontinuierlich im Text, dessen eigentliches Thema ihr Bewusstseinszustand zu sein scheint. Auch das gefällt mir sehr, dass ich nicht belehrt werde. Ich schaue bei Wikipedia nach, wie 2012 die Lage in Burundi war- bin angeregt und interessiert- und habe beschlossen, das Buch zu lesen.


JAN PETER BREMER  Der junge Doktorand

1: nein

2: nein

1: Der Tonfall irritiert mich. Zwar gibts Gründe für das tüddelige Biedermeiern mit den viel zu vielen Adjektiven- es ist Rollenprosa einer ältlichen Dame, aber die Dame ist nicht allein Schuld,  ich spüre den Autor, der ihr über die Schulter schaut, sich dann zu mir, der Leserin, umdreht, und möchte, dass ich über seine Figur schmunzle. Und: nein danke!  Schmunzeln will ich nicht.

2: Es bleibt auch auf den nächsten Seiten so. Es stellen sich zwar  schon eine paar Fragen, die einen zum Weiterlesen bringen könnten, wenn man sich denn für die beiden Figuren- die ältliche Dame und ihren Gatten- interessieren würde. Tu ich aber leider nicht, sie gehen mir auf die Nerven und ich verlasse sie bei nächster Gelegenheit. 

RAPHAELA EDELBAUER  Das flüssige Land

1: ja

2: nein

1: Auf der ersten Seite wird man von einer Metaphernlawine überrollt, dass einem die Hirnwindungsknie nur so schnackerln. Der oder die Erzählerin- Geschlecht noch nicht definiert (find ich gut!)- geht durch seinen Heimatort, der über einem gigantischen Hohlraum steht und dessen Gebäude immer mehr absacken. Dieses Loch ist in einem einzigen Absatz beschrieben als "wie ein unterirdisches Myzel", "ein unter der Gemeinde schwelendes Aneurysma", "ein Abyss", "ein unendliches Ausatmen des Landes, dessen Brustkorb sich bis an die Rippen senkte" (wie soll das gehen? der Brustkorb wird durch die Rippen gebildet ...) usw. Das geht also öfter schief als dass es klappt und kaum sitzt ein Bild, wird es schon vom nächsten erschlagen. Allerdings gefällt mir das Ambitionierte und die unerschrockene sprachliche Krafthuberei. Ich lese weiter um zu sehen wo das hinführt.

2: Leider geht es auf den nächsten vier Seiten so weiter- nach einem kurzen Einschub, in dem der oder die Erzählerin in der Apotheke große Mengen Codein kauft und ich auf den Beginn einer Handlung hoffe, kehrt der Text zurück zum Metapherngeröll über Abgrund und Höhle. Jetzt wirds mir zu lang und ich will nicht mehr weiterlesen. Hätte ich das ganze Buch, würde ich allerdings nach vor blättern und schauen, ob es mich zehn Seiten weiter doch noch interessiert.


1 Kommentar:

  1. Ich bin sehr amüsiert. Und interessiert. Muss mir das Heft noch im Buchhandel holen, aber ich sehe schon, dass ich nur deine Kommentare und nicht die Leseproben lesen werde. :)

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