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Samstag, 16. April 2016

"Die lächerliche Finsternis" von Wolfram Lotz- in Wien und Jena, ein Vergleich



Oben aus der Postmoderne wieder raus Teil 2: Jena- Wien 1:0

 

 

“Ich habe mir eine Nektarine in den Arsch stecken lassen, eine Anthologie mit isländischer Lyrik, eine Dose Katzenfutter, die Schublade eines Nachtschränkchens. Man kann viel Geld dafür bekommen, glaub mir, aber es ist nicht gut”.
In Jena ist das ein Lacher, in Wien heult Stefanie Reinperger an dieser Stelle so, dass es einem schier das Herz zerreißt. Dafür sind in Wien Oberfeldwebel Pellner und sein Gefreiter Dorsch grobe Karikaturen, während in Jena das Scheitern der Freundschaft zwischen diesen beiden zu Tränen rühren kann. Die beiden Aufführungen machen eigentlich an fast jeder Stelle alles genau umgekehrt. Deshalb ist es so spannend sie zu vergleichen. Man sieht „Die lächerliche Finsternis“ aus zwei ganz verschiedenen Blickwinkeln- und wie bei einem kubistischen Bild kriegt man dadurch erst richtig mit, was man vor sich hat- was für ein großartiges Stück (meine Besprechung ist hier).
Wolfram Lotz wollte mit seinem Stück „oben aus der Postmoderne“ wieder heraus. Die Wiener Aufführung hat ein paar Tentakel, die er da mutig aus dem Episch-Ironischen hat herauswachsen lassen, wieder in postmoderne Schubladen gestopft. Im Wiener Burgtheater hat der Regisseur Dusan Parizek alle Männerrollen mit Frauen besetzt, und die „schöne Distanz“, die die Aufführung dadurch dazugewonnen hat, wurde sehr gelobt. Bei Jan Langenheim in Jena werden die beiden machistischen Bundeswehrsoldaten (und auch sonst alle Männer bis auf einen) von Männern gespielt. Und wirklich: da ist keine  Distanz- Niederkirchner und Zera gelingt es, Mitgefühl für ihre mehr als dubiosen Charaktere zu wecken, und das mit dem uralten Mittel der Identifikation. Das ist allerdings im postmodernen Kontext verpönt, ebenso wie die stringente, spannende Story zwischen den beiden, die Lotz sich da einfach zu erzählen traut, und die die Wiener mit Fremdtexten torpediert haben. Schon allein deshalb sollte man die Jenaer Aufführung anschauen.

Lotz und Brecht

Lotz sagt, er sieht sich in der Tradition von Brecht, will aber auf das Mittel der Identifikation nicht verzichten. Brecht ging es um Veränderbarkeit. „Glotzt nicht so romantisch“ hat er plakatiert, weil er nicht wollte, dass seine Zuschauer in einer Illusion gefangen blieben. Sie sollten das große Ganze sehen, das System, und auch, dass es nicht Gott gegeben sondern veränderbar wäre. Er wollte den Zuschauern nicht erlauben, dass sie sich wie im Kino wohlig zurücklehnen und für zwei Stunden in etwas eintauchen könnten, was sie für die Wirklichkeit hielten. Deshalb traten seine Schauspieler immer wieder aus ihren Rollen heraus und gaben Kommentare ab- damit auch die Zuschauer drüber nachdenken konnten, ob das, was sie da sahen unter anderen Umständen auch anders laufen könnte. 
                        Die Postmoderne hat das zu einem Gesetz erhoben. Immer öfter nennen sich Schauspieler bei ihrem echten Namen und sagen zum Publikum " Vergessen Sie nicht, dass ich der Schauspieler Max Mustermann bin und nicht etwa Hamlet oder ein somalischer Pirat. Dabei wird dieses Ausstellen der Distanz oft wichtiger als die Sache selbst. Wovon aber eigentlich Distanz gehalten werden soll- nämlich von einer Geschichte, die doch dem Publikum nahe gehen müsste,  geht inzwischen oft unter. 

  Ein schönes Beispiel wie man als Schauspieler ganz beiläufig beides sein kann: die Figur und man selbst aus Schauspieler- und dann auch noch diese verwirrende Doppelrolle mit dem Zuschauer teilen kann, liefert Maciej Zera in der Jenaer Aufführung. 

                  In seiner Rolle als Gefreiter Dorsch fährt er mit seinem Vorgesetzen auf einem Boot durch den Dschungel ins Herz der Finsternis. Irgendwann pinkelt er vom Boot aus in den Fluß. Das spielt Zera so, wie es jetzt im Theater immer gemacht wird: mit einer Wasserflasche, die er sich gut sichtbar zwischen die Beine klemmt und dann klares Wasser rauslaufen lässt. Im altmodischen Illusiontheater wurden früher immer Mechanismen gebaut, die es möglichst echt aussehen ließen, wenn eine Figur bluten, pinkeln, sich erbrechen sollte. Da gab es, versteckt ins Kostüm, eingenähte Plastikbeutel und gefinkelte kleine Pumpen, mit denen die Schauspieler im entscheidenden Moment plötzlich Flüssigkeit aus sich heraussrinnen lassen konnten. Das waren kleine Zaubertricks, die die Zuschauer in ihrem Glauben an die Echtheit der Bühnensituation bestärken sollten. 
                     Im postdramatischen Theater ist das verpönt-  Zuschauer*innen sollen immer genau sehen können, wie etwas gemacht wird. Daher gilt es jetzt als "State of the art" große Flaschen mit Theaterblut auf die Bühne zu stellen. Wird eine Figur verwundet, dann holt sich der Schauspieler so eine Flasche und übergießt sich mit dem Theaterblut. Anfangs spielten die Schauspieler trotzdem das Verwundetwerden noch genauso realistisch wie zur Zeit der verborgenen Blutbeutel. Das war die ersten Male sehr beeindruckend. 
                        Inzwischen ist aber auch das oft nicht mehr postmodern genug. Man sieht Schauspieler*innen, die sich überhaupt keine Mühe mehr geben die Situation darzustellen sondern nur noch ganz sachlich Flüssigkeit aus eine Flasche schütten - und das ist dann allen egal- ihnen und dem Publikum. 

Bei Zeja gibts da eine kleine Etude zu sehen- sie dauert weniger als eine Minute und hat doch viele Ebenen. Er holt sich- als Schauspieler- die Flasche und klemmt sie sich zwischen die Beine. Dann spielt er -als Dorsch-, dass er vom Bootsrand pinkelt- sehr realistisch, soweit das eben mit der Flasche geht. Kurz darauf geht er -als Schauspieler- über die Bühne zur nächsten Szene. Die Wasserflasche hat er immer noch in der Hand und nimmt, scheinbar ohne nachzudenken, einen Schluck. Klar: ein durstiger Schauspieler zwischen zwei Auftritten. Kaum hat er das Wasser im Mund, spuckt er es angewidert wieder aus. Jeder versteht wieso: iiihhh!! es schmeckt nach Pisse! Er hat sich so gut in die Pinkelszene eingefühlt, dass er selbst alles geglaubt hat, auch, dass die Flüssigkeit, die da zwischen seinen Beinen herausrinnt, Pisse ist. Er hat getan, was ein klassischer Schauspieler tut: hat an die Handlungen, die er als Figur ausführt, geglaubt und damit das Publikum dazu gebracht, sie ebenfalls zu glauben. 
Momente später wird das postmodern ironisiert: ist nicht echt, Leute! Ist nur eine Wasserflasche! Aber weil er als Schauspieler nicht weiter drüber nachdenkt, im Kopf schon ganz woanders ist- hat sich in seiner Phantasie die Flüssigkeit noch nicht zurückverwandelt. Ein Teil von ihm ist Zeja, der aus einer normalen Wasserflasche trinkt, ein anderer Teil ist noch Dorsch. Weil aber beide Teile nur einen gemeinsamen Körper haben, schmeckt jetzt das Wasser für Zeja nach Pisse und er spuckt es erschrocken aus. (Und wenn man drüber nachdenkt gibt es hier sogar noch einen Dritten, der in dem Moment sowohl Dorsch als auch Zeja spielt). 
                                    Das ist nur eine winzige Scherzszene am Rand- aber in ihr sind der postmoderne und der alte Ansatz, der alles echt erscheinen lassen will, vereint. Und sie hält die Zuschauer für so klug und so flexibel, dass sie sie das Durcheinander im Inneren des Schauspielers mitempfinden lässt. Das ist ein wirklich schönes Beispiel, wie es Theater schaffen kann, zwischen Identifikation und Distanz zu wechseln, so schnell, dass es fast schon im selben Augenblick möglich wird- und ohne eine der beiden Haltungen völlig aufzugeben. 

Kritisches Theater,  dass zur Veränderung der Gesellschaft beitragen will, hat ein Problem.


Das Problem ist der Adressat. Brecht wollte Theater für Arbeiter machen. Das Theater sollte Zusammenhänge sichtbar machen und das Publikum dazu bringen, sich gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung zu wehren. Die Zuschauer sollten lernen, dass sie ein Recht auf  ihre Leidenschaften und Gefühlen hatten.Wenn man ihnen nicht erlaubte sie auszuleben, so war die Botschaft, dann deshalb, weil sie den Mächtigen nicht in den Kram passten, zum Produktionsprozess quer lagen. Die Gefühle der Arbeiter galten in jedem Fall als gut, sie würden der Motor der Rebellion sein.
                     Diese schöne Zeit der moralischen Gewissheit ist vorbei. Seit die Globalisierung real geworden ist, kann man nicht mehr leugnen, dass die meisten, die hierzulande in den Theatern sitzen im Weltmaßstab zu den Reichen und Mächtigen gehören, zu denen, die von Ausbeutung profitieren auch wenn sie es gar nicht wollen. Was jetzt? Leidenschaften zu spüren und sie auszuleben gilt meist nicht mehr als „gut“, wenn ein reicher Mächtiger es tut. Das Theater kann dem Publikum nicht mehr so einfach das Angebot machen mit den Opfern mitzuleiden- obwohl es in vielen Fällen strukturell zur Seite der Täter gehört. Das postdramatische Theater will das nicht mehr erlauben. Zuschauer sollen nicht mehr einfach sagen dürfen: „Ich bin Anne Frank“, „Ich bin eine schwarze Obdachlose auf einer Müllhalde“, „Ich bin ein Kind in einer indischen Textilfabrik“. Stattdessen sollen sie Informationen sammeln, ein schlechtes Gewissen haben, sich empören, und den Armen helfen. Leidenschaften, mit denen sie etwas für sich selbst wollen, gelten nicht mehr als gut und das Theater will sie nicht mehr für wecken.Das ist verständlich. Aber zu Herzen geht woran man leidet, wo man Schwierigkeiten hat, man fiebert mit, wenn eine Figur unerfüllten Wünschen hinterherjagt- nicht mit intellektuellen Überlegungen. Das ist ein Riesenproblem- den Theater spielt mit Gefühlen und Leidenschaften und für sie- das ist sein Wesen.

Im Fremden immer sich selbst erkennen wollen- das war einmal normal

Früher galt es als links die eigenen Abgründe zu erforschen. Man dachte man würde Sprengstoff für die Revolution ausgraben. Jetzt gilt das nicht mehr. Wenn es überhaupt noch Gefühle abzuholen gibt, dann die eines gemeinsamen Empörtseins über multinationale Konzerne oder über Menschen, die noch weniger gut sind als man selbst. Spaß ist das keiner. Und flach ist es auch. Lotz will da wieder raus. 
Zwar sagt auch Lotz, dass wir nicht einfach behaupten können, wir verstünden einen somalischen Piraten, aber er will wieder Ambivalenz zulassen. Schon Captain Marlow in Joseph Conrads "Herz der Finsternis" , der Vorlage für dieses Stück, hasste die brutale Kolonialherrschaft der Belgier in Kongo als er den Fluß hinunterfuhr. Aber er war auch der Junge, der, wie Joseph Conrad selbst, mit elf Jahren auf einen weißen Fleck auf der Landkarte gezeigt und mit leuchtenden Augen geschworen hatte: da werde ich einmal hinkommen. 

Coppola, der in "Apokalypse now" eine ähnliche Geschichte mitten im Vietnamkrieg gefilmt hat, war, wie alle an dem Film beteiligten,  ein leidenschaftlicher Kriegsgegner. Aber er war auch fasziniert vom Dschungel, und von dem was im Krieg aus der inneren Finsternis der Menschen herausbricht. Er wollte das erforschen, wollte herausfinden, was davon auch in seinem eignen Inneren  verborgen war. Heute kommt einem diese Haltung unfassbar gewagt vor. 

Mitfühlen- ja. Aber mit wem? Und mit welchen Anteilen von "Wilden" und "Fremden"?


Lotz hat geniale Monologe für die Figuren der Unterdrückten, Ausgebeuteten und Kriegsopfer  geschrieben. Es sind alles Kunstfiguren, Anhaltspunkte sind die Situationen, in denen sie sich befinden, was man annehmen kann, das sie wollen: ein mildes Urteil, Asyl, aus der Armut heraus, etwas verkaufen, Sicherheit. Sie sind nicht da um „ihr Leid zu klagen“. Wenn sie es tun, dann weil sie etwas damit erreichen wollen.
Das Team der Wiener Aufführung lässt sich das einfach nicht gefallen. Sie proklamieren ihr Recht mit den Opfern zu leiden und brettern an vielen Stellen über den Text drüber, der sich dafür gar nicht eignet. Allerdings haben sie dafür eine Wunderwaffe: Stefanie Reinsperger.
Sie spielt sämtliche Opferrollen in der Wiener Aufführung: den somalischen Piraten, den Hausierer, der Frau und Kinder verloren hat, den sprechenden Papagei, der von den Gräueln des Krieges erzählt. Ihr Schmerz ist so groß und so allgemeingültig wie bei einem griechischen Klageweib. Das erreicht sie mit Körper, Haltung, Selbstbewusstsein und Unschuld eines wuchtigen Kindes. Sie kann aus dem Stand, und völlig gegen das, was der Text nahelegt, zu heulen anfangen, und man spürt dass es zutiefst echt ist. Ihr Weinen ist frei von Selbstmitleid, es ist eine Anklage gegen den Zustand der Welt. Es steht wie eine Säule im Raum, es ist ein Protest. Man fühlt, dass dieses diese Riesen Kind, das da breitbeinig steht und nichts versteckt, ein Recht darauf hat, das eigene Leid mit dem der Verdammten dieser Erde gleichzusetzen. Ihr Weinen verlangt nichts von den Zuschauer*innen, im Gegenteil, es gibt ihnen die Erlaubnis auch zu weinen, wenn sie es wollen
Das ist ein ganz anderes Erlebnis als in den schrecklichen Stücken, in denen echte Flüchtlinge auf die Bühne gestellt und aufgefordert werden, möglichst ergreifend von ihrem  Schicksal zu erzählen. Natürlich erhoffen sich diese Leute Hilfe, sie wollen nicht „ihre Erfahrungen teilen“, sie wollen Geld, eine Wohnung, eine Arbeit und deshalb überwinden sie notgedrungen ihre Scham. Aber unten im Zuschauerraum sitzen Hunderte, von denen sie nichts kriegen, nur angestarrt werden. Das ist widerlich. Stefanie Reinsperger will nichts, es ist Theater, sie wird dafür  bezahlt. Deshalb kann man sich tatsächlich mit diesem abstrakten Leid identifizieren, kann mitleiden, „gut“ sein. Drei mal drei Minuten Katharsis- bei jedem Opfer eine. Sie hat in allem eine herrliche Kraft und Entschiedenheit. Sie spielt auch als Einzige nicht, dass sie ein Mann sei. Sie ist einfach die, die sie ist. Die, die die Situation als Schrecken erlebt und das mit voller Wucht auf die Bühne bringt. Sie ist dafür zurecht sowohl als Schauspielerin des Jahres als auch als beste Nachwuchsschauspielerin ausgezeichnet worden. 
Trotzdem geht bei den Texten auf die Art viel verloren. In Jena weint der somalische Pirat (Benjamin Mährlein) nicht. Er sieht aus wie Johnny Depp. Und das führt gleich in die eigene Finsternis. Warum wollen wir überhaupt wissen, was diesen Piraten getrieben hat? Ist es für uns nur eine moralische Pflicht? Weil er vor einem deutschen Gericht steht, sollten wir uns informieren? Aber sind wir nicht von Piraten fasziniert? Haben alle Teile von „Pirates oft the carribean“ gesehen? Bewundern wir so einen nicht auch für sein Outlaw Dasein? Und ist das nicht verrückt was er von seinem Kumpel erzählt, der sich für Geld Bände mit isländischer Lyrik in den Arsch stecken lässt? Sicher, da muss sich einer prostituieren und es ist entsetzlich und damit ist alles klar. Aber es ist auch absurd, und es sind herrliche Bilder dafür wie absurd einem eine fremde sexuelle Präferenz vorkommen kann, die man nicht teilt. Und ist außer dem einen Entsetzlichen nicht noch viel Anderes Unklares da drin? Ist es nicht traurig, dass es Menschen gibt, die dafür zahlen müssen, dass sie das mit der isländischen Lyrik machen dürfen? Ist das nicht eine furchtbare Einsamkeit? Und ist das nicht vielleicht etwas, das gar keinen Schuldigen kennt? Über all das wird in Jena nicht hinweggeweint. 
Aber der größte Unterschied zwischen den Aufführungen ist die zentrale Geschichte zwischen Pellner und Dorsch. Lotz war ja selbst empört über die Verurteilung eines somalischen Piraten durch ein deutsches Gericht. Aber dann hat er sich gesagt: wenn es anständig sein soll, dann muss es um mich gehen. Und ihm ist „Die Reise ins Herz der Finsternis“ eingefallen- auch Joseph Conrad war zerrissen von seinem Widerwillen gegen die Kolonialherren und  seiner Sehnsucht, in der Wildnis etwas über sich selbst herauszufinden. Ohne die Angst-Lust vor fremden Ländern und vor den „Wilden“ lässt sich so eine Reise nicht beschreiben, und auch nicht die humanitären Einsätze unseres Militärs. Pellner ist unser Alter Ego, er hat den Auftrag, Gutes zu tun, und ist ein postkolonialer Rassist und Sexist, - und seine Ängste schauen ihn  aus dem  Dschungel heraus an.

Catrin Striebeck als Pellner

Catrin Striebeck parodiert diesen verklemmten, paranoiden Macho nach allen Regeln der Kunst. Aber die Gefühle, die sie vermittelt, haben nichts mit ihm zu tun, es sind Kommentare der Frau, die solche Gestalten kennt und unter ihnen zu leiden hatte. Sie verachtet diesen Pellner, entlarvt ihn als mickriges Würstchen, serviert seine testosterongeschwellten Gesten mit demonstrativem Widerwillen. Das ist Kabarett-  böse, gut gemacht, aber oberflächlich. Hier wird nicht gegen die Gebote der Postmoderne verstoßen: bestimmt wird niemand der Illusion verfallen, das sei ein echter Mensch; niemand wird sich identifizieren- aber was man sieht, ist eben auch nur ein Klischee.

Ilja Niederkirchner ist Pellner

Ilja Niederkirchner hingegen hat die Teile, aus denen er seinen mindestens ebenso lächerlichen Pellner zusammensetzt, aus der Tiefe seiner eigenen Männerfinsternis, Blödigkeit und Not heraufgeholt.
Auch er spielt bei Leibe keine naturalistische Figur. Die Filmvorbilder sind deutlich zu sehen und wunderbarer Weise traut er sich, sich so zu bewegen, so zu sprechen, wie man es nur von den allerschamlosesten Schauspielern kennt- oder eben aus der Wirklichkeit, die sich auch oft weder um Dezenz noch um Wahrscheinlichkeit schert. Aber wenn er den zähnefletschenden, augenrollenden Jack Nicholson imitiert, dann passiert bei ihm etwas ganz Anderes als beim Striebeck’schen Macho. Bei den Faxen, die Niederkirchner macht, gerät etwas tief in ihm in Schwingung und dagegen bäumen sich furchtbare Gegenkräfte auf. Das ist “authentisch”, stimmt in ihm zusammen, und steckt deshalb die Zuschauer an. Die grauenhafte Mischung aus Wollen und Hemmung und dem Selbsthass, mit dem er im Sekundentakt auf alle Impulse draufhauen muss, fährt einem beim Zuschauen auch in die eigenen Glieder. Ein Zauber, der einen von diesem Joch der Zivilisation befreien könnte, den hat ein Capitain Marlow sich im Herzen der Finsternis erhofft- der Gedanke daran beutelt auch einen Pellner mit Angst-Lust.

In der Wiener Vorstellung kann man sich als guter Mensch fühlen, in Jena nicht

Hier kann also die “Typbesetzung” etwas, was der postmoderne Geschlechtertausch nicht zustande bringt. Der Wiener Pellner von Catrin Striebeck ist eine Witzfigur, und er ist böse. Wer im Publikum sitzt, kann sich selbst ungestört weiter für einen durch und durch guten Menschen halten, denn mit diesem Pellner ist keiner verwandt. 
In Jena hat das Publikum es nicht so leicht. Hier ist Pellner Unterdrückter und Unterdrücker in einem. Mit ihm vergleicht man sich fast zwangsläufig. Ja, er ist schrecklich, aber was er in seinem bornierten Exotismus von sich gibt, wird fast jeder auch schon einmal gedacht haben: ob die „Wilden“ nicht glücklicher sind; ob man nicht etwas verloren hat- nein: ob es einem nicht weggenommen wurde, - das das Leben lebenswerter gemacht hat. Und man spürt, was Wolfram Lotz für sich als die einzig mögliche Position bezeichnet: „Eigentlich geht es immer nur um mich.“

 Eine echte Story! 



 

Pellner fühlt sich zunehmend bedroht, eingeklemmt zwischen dem Dschungel, („die schrecklichen Wälder umgaben uns wie gewaltige schlafende Körper“) und dem immer zutraulicher werdenden Dorsch. Es entsteht eine für Pellner fast unerträgliche Nähe- er sieht Dorsch weinen. Er überlegt, dass er ihn töten könnte- „Aber warum“ fragt er sich verunsichert „sollte ich das tun?“. Dann ist Dorsch auf einmal verschwunden. Pellner gerät in Panik. Als Dorsch zurückkommt und behauptet er wäre nur mal kacken gewesen, entsteht ein Riss zwischen den beiden. Und dann finden sie im Herzen der Finsternis IHN, Deutinger, den schrecklichen wahnsinnigen Mörder, den sie gesucht haben. Und genau wie bei Conrad und Coppola ist da nichts, das Herz der Finsternis ist hohl.

Das Grauen! Das Grauen...

Bei Conrad gibt es danach noch ein Kapitel, nach der furchtbaren Wahrheit kommt noch eine gnädige Lüge. Die Frau des toten Kurtz besucht Marlow. Sie ist überzeugt, ihr Mann sei der beste Mensch der Welt gewesen und habe sie abgöttisch geliebt. Marlow verschweigt ihr alles, was er gesehen hat, und lügt, Kurtz’ letzte Worte hätten ihr, seiner Frau gegolten (während er in Wirklichkeit das berühmte „Das Grauen! Das Grauen..“ gesagt hat. Obwohl der unverbrüchliche Glaube dieser Frau an ihren Mann nicht weiter weg von der Wahrheit sein könnte, wirkt ihre Liebe, die nun für immer im Raum bleiben wird, trotzdem tröstlich. Lotz hat etwas ganz Ähnliches gemacht. Dorsch bleibt bei Deutinger zurück um ihn zu schützen. Er ist sicher, dass Pellner seinen Auftrag die Koordinaten von Deutingers Aufenthaltsort durchzugeben, damit er via Luftangriff liquidiert werden kann, nicht durchführen wird, wenn der Angriff auch Dorsch treffen müsste- so sicher wie Kurtz’ Frau sich seiner Liebe war. Und er liegt genauso falsch. Aber die letzten Worte des Stücks zeigen sein Vertrauen, das ist herzzerreißend- und auch tröstlich:
Deutinger:     Ich verstehe, dass es schwer war, nicht mit ihm zu gehen. Du hast ja auch sowas zu ihm gesagt, bevor er ging.
Dorsch           Was denn?
Deutinger:     Du hast zu ihm gesagt, dass du die Hoffnung hast, dass ihr euch immerhin erkannt habt, auch wenn du wüsstest, dass ihr keine Freunde geworden seid.
Dorsch:          Und was hat Pellner geantwortet?
Deutinger:     Ich weiß nicht. Ich glaube, er hat gesagt „Mag sein“. Oder irgendwas Ähnliches. 

In Jena kann man dieser Geschichte in allen Details folgen. Die Aufführung ist lustig und verstörend und Lotz ein Hoffnungschimmer in einem Theaterjahr, in dem überall Eindeutigkeit auf den Bühnen verlangt wird - was dann tatsächlich oft zu Heuchelei führt.

Sonntag, 6. Dezember 2015

Wie kommt man oben aus der Postmoderne wieder raus?

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Eine gute Frage, die Wolfram Lotz sich da gestellt hat, und eine die immer dringender wird: Kommt man aus der Postmoderne wieder raus? Und zwar nicht zurück zu Staub und rotem Samt und Opium fürs Kulturvolk, sondern vorwärts in eine Wirklichkeit, die es nach der ganzen Dekonstruktion da draußen immer noch gibt? Mit der Aufführung von „Die lächerliche Finsternis“ in Jena ist genau das geglückt! Ich bin begeistert- deshalb gibt es hier jetzt ausnahmsweise einen Beitrag über ein Theaterstück.

Teil 1 ist eine Kritik der Inszenierung, die aktuell am Theaterhaus Jena zu sehen ist.

In Teil 2 vergleiche ich die Jenaer Inszenierung mit der vom Wiener Burgtheater (hier komplett auf youtube). Ich versuche herauszufinden, wie sich die Wirkungen der beiden stilistisch fast schon entgegengesetzten Fassungen unterscheiden, ob und wie der Text von Lotz als politisches Theater funktioniert, und was ihn so anders macht als all die anderen Stücke über Fremdenfeindlichkeit, die man derzeit überall sieht.


„Die lächerliche Finsternis“ von Wolfram Lotz am Theaterhaus Jena

„Sehr geehrter Herr Richter! “ sagt der Mensch, dessen Plädoyer da über Video auf die Bühne übertragen wird, in die Kamera, „Es ist richtig, dass ich Pirat bin.“ Der Kerl sieht auch wirklich wie ein Pirat aus, Pluderhose, Goldklunker, feuriger Kajalblick., „aber ich habe das Recht zu erzählen, wie es dazu gekommen ist. Mein Name ist Ultimo Michael Pussi und wie Sie wissen, bin ich ein schwarzer Neger aus Somalia..“.

Wie bitte? denkt man, der Mann ist doch weiß! Und er sagt das N- Wort?! Ist das etwa erlaubt, wenn es ein Schwarzer über sich selbst sagt? Aber er ist ja gar nicht wirklich schwarz, er behauptet es nur! Somalische Piraten gibt es andererseits wirklich! Also wirklich wirklich, steht in der Zeitung! Wie passt denn das jetzt zusammen?- In diesen ersten Momenten ist im Kern schon alles drin, was das Stück des Jahres, die Komödie „Die lächerliche Finsternis“ von Wolfram Lotz, in der kongenialen Aufführung am Theaterhaus Jena (Regie: Jan Langenheim) zu einem Hit macht: es geht offensichtlich um das Thema N°1, um „uns“ und „die“. Aber was da ins Auge sticht, ist kein moralischer Zeigefinger, sondern eine wilde Mischung aus Widersprüchen, die einen in schnellem Wechsel zum Lachen und Denken, zum romantisch Glotzen und entsetzt sein zwingt- es geht mitten hinein in die finsteren Kanäle unserer Herzen und Hirne.


„Als ich davon hörte, dass in Hamburg somalische Piraten vor Gericht stehen, da habe ich eine Wut bekommen“, sagt Lotz in einem Interview, „was für ein Irrsinn ist es denn, Leute verurteilen zu wollen, über deren Lebensumstände wir praktisch nichts wissen!“ Das Tolle an Lotz, sozusagen sein Alleinsteinungsmerkmal, ist, dass er seine Wut nicht in moralische Überlegenheit ummünzt, sich aber auch nicht auf dokumentarische Formate zurückzieht, bei denen sich der Zuschauer fragen muss, ob er statt ins Theater nicht lieber in die Volkshochschule hätte gehen sollen. Lotz bleibt bei sich selbst- und findet, dass er kaum etwas über den somalischen Piraten weiß, was ihn berechtigen würde für ihn zu sprechen, nur eins: was der in dieser Situation will – einfach weil es das ist, was jeder wollen würde: ein möglichst mildes Urteil. Lotz legt ihm also ein verzweifelt poetisches Plädoyer in den Mund, eine Bitte um Verständnis, zusammengestoppelt aus Versatzstücken, von denen ein Somalier annehmen könnte, dass sie einen weißen Hamburger Richter rühren. Das ergibt eine Mischung, mit der Ultimo Michael Pussi (Benjamin Mährlein) abwechselnd ins Schwarze der Rührung trifft und gleich darauf auf hochkomische Weise daneben liegt - und gehört bestimmt zu den schönsten neuen Texten, die man derzeit auf einer Bühne hören kann. (hier zum Nachlesen)



Nach dem Prolog des Piraten beginnt eine ganz andere, die eigentliche Geschichte: die Reise ins Herz der Finsternis. Die stammt ursprünglich von Joseph Conrad: In der Hochzeit des Kolonialismus fährt Kapitän Marlow  im Auftrag einer Elfenbeinhandelsgesellschaft den Kongo hinauf, um den verschollenen Colonel Kurtz aufzuspüren, über den mysteriöse Gerüchte kursieren: er soll erleuchtet sein, das Geheimnis kennen, das im Herz der Finsternis lauert, wahnsinnig geworden, ein Mörder.

Der Film „Apocalypse now!“ von Francis Ford Coppola verlegt die Story in den Vietnamkrieg.

Bei Lotz spielt sie nun in einem postkolonialen Phantasieland, einer Mischung aus Afghanistan, Somalia und dem Kosovo, in dem Oberfeldwebel Pellner (Ilja Niederkirchner) und der Gefreite Dorsch (Maciej Zera) den Fluss Hindukusch hinauffahren, tief hinein in die Regenwälder Afghanistans.

Lotz hat den Text eigentlich als Hörspiel geschrieben, denn Dschungel, Hitze, Tierschreie, Fieberphantasien, all das gesehen durch die Augen des immer paranoider werdenden Pellner- wie sollte man das auf der Bühne lebendig werden lassen? Die preisgekrönte Wiener Aufführung löst das durch Abstraktion: eine fast leere Bühne, undefinierte schwarze Kostüme, alle Rollen werden von Frauen gespielt. In Jena ist nun der völlig entgegengesetzte Versuch zu sehen. Die Ausstatter (Benjamin Schönecker & Veronika Bleffert) erschaffen eine bunte Phantasiewelt, in der somalische Piraten aussehen wie Johnny Depp, Bundeswehrsoldaten wie Cowboys, und die Eingeborenenhütten wie Häuschen aus den finstersten Winkeln des Schwarzwalds. Tatsächlich funktioniert das grandios, verschmilzt mit dem Text von Lotz zu einem absurden und doch vertraut scheinenden Universum. Spätestens wenn die fremdartigen rituellen Gesänge anheben, und das Eingeborenenmädchen (Klara Pfeiffer) mit Inbrunst „Atemlos“ schmettert, fühlt man sich zuhause im Dschungel der inneren Bilder aus Märchen und Filmen, Horror und Lüsten. Die Schauspieler stürzen sich rückhaltlos in ihre Rollen, ganz ohne postmoderne Zurückhaltung, geben keine Karikaturen, die auf Textflächen Schlittschuhlaufen, sondern lauter echte Menschen. Benjamin Mährlein rührt als Pirat und verzweifelt nach Liebe suchender Sextourist. Leander Gerdes ist ein strahlender Missionar, der seinen Gott und seine halbnackten Schäfchen liebt und ein fahrender Händler mit einem wunderbar minimalistischen Tourettesyndrom.


Das Herz der Jenaer Aufführung ist das Drama, das sich zwischen Pellner und Dorsch auf ihrer Reise durch den ihnen immer bedrohlicher scheinenden Dschungel abspielt.
Dorsch und Pellner (Maciej Zera, Ilja Niederkirchner)
Pellner ist die schillerndere Figur von beiden, ein zwanghaftes, von uneingestandenen Ängsten verschnürtes Kraftpaket. Wie Ilja Niederkirchner ihn spielt, ist eine echte schauspielerische Glanzleistung. Sein Brustkorb ist gebläht von der nie endenden Anstrengung, das Richtige zu tun. Die Arme stehn ihm steif vom Körper ab, der Hinter reckt sich wie ein Entenbürzel. Durch Niederkirchner hindurch irrlichtern die Bewegungsmuster von Martin Sheen, (der die entsprechende Rolle in Apocalypse now spielt), von Marlon Brando und mit zunehmendem Irrsinn die des zähnefletschenden Jack Nickolson aus „Shining“. Daneben hängt traurig Dorschs langes Elend, Zeija spielt ihn gerade und einfach. Er ist ein großer, gutmütiger Supersportler, der nie begreift, was gerade läuft. Die beiden sind ein ebenso komisches wie schreckliches Paar, zwei verschiedene Bilder von Elend und Ratlosigkeit darüber, dass die Sache mit der Männlichkeit einfach nicht mehr funktioniert.-Wie die beiden Schauspieler ihre perfekt trainierten Körper schmerzlich verknoten, spiegelt auf wunderbare Weise die durch Hemmungen verschwurbelte Sprache, die Lotz für sie gefunden hat. In Pellners Amtsdeutsch reißt die Paranoia überraschende Löcher aus Schweigen, aus Dorschs Mund blubbert immer wieder die reine Poesie, ohne dass ihm das bewusst wäre. – Das ebenso einfache wie berührende Drama ist, dass Dorsch versucht, Pellner näher zu kommen. Er will sein Freund werden, erhofft sich davon Hilfe gegen seine Ängste. Für Pellner ist das der ärgste Horror. Und während man sich mit dem ganzen Herzen des naiven Zuschauers wünscht, Dorsch möge es doch schaffen, zu dem völlig verängstigten Wesen durchzudringen das sicherlich im Inneren von Pellner stecken muss, verzerrt sich dessen Mund zu fürchterlichen Grimmasen des Ekels und Widerwillens. Das ist sehr komisch und sehr schrecklich- und die Geschichte entscheidet sich natürlich im Herz der Finsternis.

Die Aufführung ist ein Erlebnis, weil sie nicht auf einer Oberfläche herumdümpelt, auf der sich gute Menschen bei guten Menschen darüber beklagen, wie bös die bösen Menschen sind. Sie erinnert daran, dass Theater ein Ort sein kann, in dem man tief in die Mördergrube des eigenen Herzens taucht; in dem man Mitleid und Furcht empfindet – und das bei immer weiter ratterndem Verstand. Sie bietet keine Lösung, nur gutes Theater.

An der Wand des Kassablanca hängt eine Leuchtschrift mit dem Wort „Hoffnung“. Vielleicht ist es eine Botschaft, vielleicht ist aber auch das Kap der guten Hoffnung gemeint, vor dem die somalischen Piraten auf das nächste Schiff warten.

Nächste Vorstellungen am 21.12. und 22.12. http://www.theaterhaus-jena.de/