Oben aus der Postmoderne wieder raus Teil 2: Jena- Wien 1:0
“Ich habe mir eine Nektarine in den
Arsch stecken lassen, eine Anthologie mit isländischer Lyrik, eine Dose
Katzenfutter, die Schublade eines Nachtschränkchens. Man kann viel Geld dafür
bekommen, glaub mir, aber es ist nicht gut”.
In Jena ist das ein Lacher, in Wien
heult Stefanie Reinperger an dieser Stelle so, dass es einem schier das Herz
zerreißt. Dafür sind in Wien Oberfeldwebel Pellner und sein Gefreiter Dorsch grobe
Karikaturen, während in Jena das Scheitern der Freundschaft zwischen diesen beiden zu Tränen rühren kann. Die beiden Aufführungen machen eigentlich an fast jeder
Stelle alles genau umgekehrt. Deshalb ist es so spannend sie zu vergleichen. Man
sieht „Die lächerliche Finsternis“ aus zwei ganz verschiedenen Blickwinkeln-
und wie bei einem kubistischen Bild kriegt man dadurch erst richtig mit, was
man vor sich hat- was für ein großartiges Stück (meine Besprechung ist hier).
Wolfram Lotz wollte mit seinem Stück „oben aus der Postmoderne“ wieder heraus. Die
Wiener Aufführung hat ein paar Tentakel, die er da mutig aus dem
Episch-Ironischen hat herauswachsen lassen, wieder in postmoderne Schubladen
gestopft. Im Wiener Burgtheater hat der Regisseur Dusan Parizek alle Männerrollen mit Frauen besetzt, und die „schöne
Distanz“, die die Aufführung dadurch dazugewonnen hat, wurde sehr gelobt. Bei
Jan Langenheim in Jena werden die beiden machistischen Bundeswehrsoldaten (und
auch sonst alle Männer bis auf einen) von Männern gespielt. Und wirklich: da
ist keine Distanz- Niederkirchner und Zera gelingt es, Mitgefühl für
ihre mehr als dubiosen Charaktere zu wecken, und das mit dem uralten Mittel der
Identifikation. Das ist allerdings im postmodernen Kontext verpönt, ebenso wie
die stringente, spannende Story zwischen den beiden, die Lotz sich da einfach
zu erzählen traut, und die die Wiener mit Fremdtexten torpediert haben. Schon
allein deshalb sollte man die Jenaer Aufführung anschauen.
Lotz und Brecht
Lotz sagt, er sieht sich in der Tradition von Brecht, will aber auf das
Mittel der Identifikation nicht verzichten. Brecht ging es um Veränderbarkeit. „Glotzt
nicht so romantisch“ hat er plakatiert, weil er nicht wollte, dass seine
Zuschauer in einer Illusion gefangen blieben. Sie sollten das große Ganze
sehen, das System, und auch, dass es nicht Gott gegeben sondern veränderbar
wäre. Er wollte den Zuschauern nicht erlauben, dass sie sich wie im Kino wohlig zurücklehnen und für zwei Stunden in etwas eintauchen könnten, was sie für die Wirklichkeit hielten. Deshalb traten seine Schauspieler immer wieder aus ihren Rollen heraus und gaben Kommentare ab- damit auch die Zuschauer drüber nachdenken konnten, ob das, was sie da sahen unter anderen Umständen auch anders laufen könnte.
Die Postmoderne hat das zu einem Gesetz erhoben. Immer öfter nennen sich Schauspieler bei ihrem echten Namen und sagen zum Publikum " Vergessen Sie nicht, dass ich der Schauspieler Max Mustermann bin und nicht etwa Hamlet oder ein somalischer Pirat. Dabei wird dieses Ausstellen der Distanz oft wichtiger als die Sache selbst. Wovon aber eigentlich Distanz gehalten werden soll- nämlich von einer Geschichte, die doch dem Publikum nahe gehen müsste, geht inzwischen oft unter.
Ein schönes Beispiel wie man als Schauspieler ganz beiläufig beides sein kann: die Figur und man selbst aus Schauspieler- und dann auch noch diese verwirrende Doppelrolle mit dem Zuschauer teilen kann, liefert Maciej Zera in der Jenaer Aufführung.
In seiner Rolle als Gefreiter Dorsch fährt er mit seinem Vorgesetzen auf einem Boot durch den Dschungel ins Herz der Finsternis. Irgendwann pinkelt er vom Boot aus in den Fluß. Das spielt Zera so, wie es jetzt im Theater immer gemacht wird: mit einer Wasserflasche, die er sich gut sichtbar zwischen die Beine klemmt und dann klares Wasser rauslaufen lässt. Im altmodischen Illusiontheater wurden früher immer Mechanismen gebaut, die es möglichst echt aussehen ließen, wenn eine Figur bluten, pinkeln, sich erbrechen sollte. Da gab es, versteckt ins Kostüm, eingenähte Plastikbeutel und gefinkelte kleine Pumpen, mit denen die Schauspieler im entscheidenden Moment plötzlich Flüssigkeit aus sich heraussrinnen lassen konnten. Das waren kleine Zaubertricks, die die Zuschauer in ihrem Glauben an die Echtheit der Bühnensituation bestärken sollten.
Im postdramatischen Theater ist das verpönt- Zuschauer*innen sollen immer genau sehen können, wie etwas gemacht wird. Daher gilt es jetzt als "State of the art" große Flaschen mit Theaterblut auf die Bühne zu stellen. Wird eine Figur verwundet, dann holt sich der Schauspieler so eine Flasche und übergießt sich mit dem Theaterblut. Anfangs spielten die Schauspieler trotzdem das Verwundetwerden noch genauso realistisch wie zur Zeit der verborgenen Blutbeutel. Das war die ersten Male sehr beeindruckend.
Inzwischen ist aber auch das oft nicht mehr postmodern genug. Man sieht Schauspieler*innen, die sich überhaupt keine Mühe mehr geben die Situation darzustellen sondern nur noch ganz sachlich Flüssigkeit aus eine Flasche schütten - und das ist dann allen egal- ihnen und dem Publikum.
Bei Zeja gibts da eine kleine Etude zu sehen- sie dauert weniger als eine Minute und hat doch viele Ebenen. Er holt sich- als Schauspieler- die Flasche und klemmt sie sich zwischen die Beine. Dann spielt er -als Dorsch-, dass er vom Bootsrand pinkelt- sehr realistisch, soweit das eben mit der Flasche geht. Kurz darauf geht er -als Schauspieler- über die Bühne zur nächsten Szene. Die Wasserflasche hat er immer noch in der Hand und nimmt, scheinbar ohne nachzudenken, einen Schluck. Klar: ein durstiger Schauspieler zwischen zwei Auftritten. Kaum hat er das Wasser im Mund, spuckt er es angewidert wieder aus. Jeder versteht wieso: iiihhh!! es schmeckt nach Pisse! Er hat sich so gut in die Pinkelszene eingefühlt, dass er selbst alles geglaubt hat, auch, dass die Flüssigkeit, die da zwischen seinen Beinen herausrinnt, Pisse ist. Er hat getan, was ein klassischer Schauspieler tut: hat an die Handlungen, die er als Figur ausführt, geglaubt und damit das Publikum dazu gebracht, sie ebenfalls zu glauben.
Momente später wird das postmodern ironisiert: ist nicht echt, Leute! Ist nur eine Wasserflasche! Aber weil er als Schauspieler nicht weiter drüber nachdenkt, im Kopf schon ganz woanders ist- hat sich in seiner Phantasie die Flüssigkeit noch nicht zurückverwandelt. Ein Teil von ihm ist Zeja, der aus einer normalen Wasserflasche trinkt, ein anderer Teil ist noch Dorsch. Weil aber beide Teile nur einen gemeinsamen Körper haben, schmeckt jetzt das Wasser für Zeja nach Pisse und er spuckt es erschrocken aus. (Und wenn man drüber nachdenkt gibt es hier sogar noch einen Dritten, der in dem Moment sowohl Dorsch als auch Zeja spielt).
Das ist nur eine winzige Scherzszene am Rand- aber in ihr sind der postmoderne und der alte Ansatz, der alles echt erscheinen lassen will, vereint. Und sie hält die Zuschauer für so klug und so flexibel, dass sie sie das Durcheinander im Inneren des Schauspielers mitempfinden lässt. Das ist ein wirklich schönes Beispiel, wie es Theater schaffen kann, zwischen Identifikation und Distanz zu wechseln, so schnell, dass es fast schon im selben Augenblick möglich wird- und ohne eine der beiden Haltungen völlig aufzugeben.
Kritisches Theater, dass zur Veränderung der Gesellschaft beitragen will, hat ein Problem.
Das Problem ist der Adressat. Brecht wollte Theater für Arbeiter machen. Das Theater sollte Zusammenhänge sichtbar machen und das Publikum dazu bringen, sich gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung zu wehren. Die Zuschauer sollten lernen, dass sie ein Recht auf ihre
Leidenschaften und Gefühlen hatten.Wenn man ihnen nicht erlaubte sie auszuleben, so war die Botschaft, dann deshalb, weil sie den Mächtigen nicht in den Kram passten, zum Produktionsprozess quer lagen. Die Gefühle der Arbeiter galten in jedem Fall als gut, sie würden der Motor der Rebellion sein.
Diese schöne Zeit der
moralischen Gewissheit ist vorbei. Seit die Globalisierung real geworden ist, kann man nicht mehr leugnen, dass die meisten, die hierzulande in den Theatern sitzen im Weltmaßstab zu
den Reichen und Mächtigen gehören, zu denen, die von Ausbeutung
profitieren auch wenn sie es gar nicht wollen. Was jetzt? Leidenschaften zu spüren und sie auszuleben gilt meist nicht mehr als „gut“, wenn ein reicher Mächtiger es tut. Das Theater kann dem Publikum nicht mehr so einfach das Angebot machen mit den Opfern mitzuleiden- obwohl es in vielen Fällen strukturell zur Seite der Täter gehört. Das postdramatische Theater will das nicht
mehr erlauben. Zuschauer sollen nicht mehr
einfach sagen dürfen: „Ich bin Anne Frank“, „Ich bin eine schwarze
Obdachlose auf einer Müllhalde“, „Ich bin ein Kind in einer indischen
Textilfabrik“. Stattdessen sollen sie Informationen sammeln, ein schlechtes
Gewissen haben, sich empören, und den Armen helfen. Leidenschaften, mit
denen sie etwas für sich selbst wollen, gelten nicht mehr als gut und das
Theater will sie nicht mehr für wecken.Das ist verständlich. Aber zu Herzen geht woran man leidet, wo man Schwierigkeiten hat, man fiebert mit, wenn eine Figur unerfüllten Wünschen hinterherjagt- nicht mit intellektuellen Überlegungen. Das ist ein Riesenproblem- den Theater spielt mit Gefühlen und Leidenschaften und für sie- das ist sein Wesen.
Im Fremden immer sich selbst erkennen wollen- das war einmal normal
Früher galt es als links die eigenen Abgründe zu erforschen. Man dachte
man würde Sprengstoff für die Revolution ausgraben. Jetzt gilt das nicht mehr.
Wenn es überhaupt noch Gefühle
abzuholen gibt, dann die eines gemeinsamen Empörtseins über multinationale
Konzerne oder über Menschen, die noch weniger gut sind als man selbst. Spaß ist
das keiner. Und flach ist es auch. Lotz will da wieder raus.
Zwar sagt auch Lotz, dass wir nicht einfach behaupten können, wir
verstünden einen somalischen Piraten, aber er will wieder Ambivalenz zulassen.
Schon Captain Marlow in Joseph Conrads "Herz der Finsternis" , der Vorlage für dieses Stück, hasste die brutale Kolonialherrschaft
der Belgier in Kongo als er den Fluß hinunterfuhr. Aber er war auch der Junge, der, wie Joseph Conrad selbst, mit elf
Jahren auf einen weißen Fleck auf der Landkarte gezeigt und mit leuchtenden
Augen geschworen hatte: da werde ich einmal hinkommen.
Coppola, der in "Apokalypse now" eine ähnliche Geschichte mitten im Vietnamkrieg gefilmt hat, war, wie alle an dem Film beteiligten, ein leidenschaftlicher Kriegsgegner. Aber er war auch
fasziniert vom Dschungel, und von dem was im Krieg aus der inneren Finsternis der Menschen herausbricht. Er wollte das erforschen, wollte herausfinden, was davon auch in seinem eignen Inneren verborgen war. Heute kommt einem diese Haltung unfassbar gewagt vor.
Mitfühlen- ja. Aber mit wem? Und mit welchen Anteilen von "Wilden" und "Fremden"?
Lotz hat geniale Monologe für die Figuren der Unterdrückten, Ausgebeuteten
und Kriegsopfer geschrieben. Es sind
alles Kunstfiguren, Anhaltspunkte sind die Situationen, in denen sie sich
befinden, was man annehmen kann, das sie wollen: ein mildes Urteil, Asyl, aus
der Armut heraus, etwas verkaufen, Sicherheit. Sie sind nicht da um „ihr Leid
zu klagen“. Wenn sie es tun, dann weil sie etwas damit erreichen wollen.
Das Team der Wiener Aufführung lässt sich das einfach nicht gefallen. Sie
proklamieren ihr Recht mit den Opfern zu leiden und brettern an vielen Stellen
über den Text drüber, der sich dafür gar nicht eignet. Allerdings haben sie dafür
eine Wunderwaffe: Stefanie Reinsperger.
Sie spielt sämtliche Opferrollen in der Wiener Aufführung: den somalischen Piraten, den Hausierer, der Frau und Kinder verloren hat, den sprechenden Papagei, der von den Gräueln des Krieges erzählt. Ihr Schmerz ist so groß und so allgemeingültig wie bei einem griechischen Klageweib. Das erreicht sie mit Körper, Haltung, Selbstbewusstsein und Unschuld eines wuchtigen Kindes. Sie kann
aus dem Stand, und völlig gegen das, was der Text nahelegt, zu heulen anfangen,
und man spürt dass es zutiefst echt ist. Ihr Weinen ist frei von Selbstmitleid, es ist eine Anklage gegen den Zustand der Welt. Es steht wie
eine Säule im Raum, es ist ein Protest. Man fühlt, dass
dieses diese Riesen Kind, das da breitbeinig steht und nichts versteckt, ein Recht
darauf hat, das eigene Leid mit dem der Verdammten dieser Erde
gleichzusetzen. Ihr Weinen verlangt nichts von den Zuschauer*innen, im Gegenteil, es gibt ihnen die Erlaubnis auch zu weinen, wenn
sie es wollen
.
Das ist ein ganz anderes Erlebnis als in den schrecklichen Stücken, in denen
echte Flüchtlinge auf die Bühne gestellt und aufgefordert werden, möglichst
ergreifend von ihrem Schicksal zu erzählen. Natürlich erhoffen
sich diese Leute Hilfe, sie wollen nicht „ihre Erfahrungen teilen“, sie wollen
Geld, eine Wohnung, eine Arbeit und deshalb überwinden sie notgedrungen ihre Scham. Aber unten im Zuschauerraum sitzen Hunderte,
von denen sie nichts kriegen, nur angestarrt werden. Das ist widerlich.
Stefanie Reinsperger will nichts, es ist Theater, sie wird dafür bezahlt. Deshalb kann man sich tatsächlich mit
diesem abstrakten Leid identifizieren, kann mitleiden, „gut“ sein. Drei mal
drei Minuten Katharsis- bei jedem Opfer eine. Sie hat in allem eine herrliche
Kraft und Entschiedenheit. Sie spielt auch als Einzige nicht, dass sie ein Mann
sei. Sie ist einfach die, die sie ist. Die, die die Situation als Schrecken erlebt und das mit voller Wucht auf die Bühne bringt. Sie
ist dafür zurecht sowohl als Schauspielerin des Jahres als auch als beste
Nachwuchsschauspielerin ausgezeichnet worden.
Trotzdem geht bei den Texten auf die Art viel verloren. In Jena weint der somalische
Pirat (Benjamin Mährlein) nicht. Er sieht aus wie Johnny Depp. Und das führt
gleich in die eigene Finsternis. Warum wollen wir überhaupt wissen, was diesen
Piraten getrieben hat? Ist es für uns nur eine moralische Pflicht? Weil er vor
einem deutschen Gericht steht, sollten wir uns informieren? Aber sind wir nicht
von Piraten fasziniert? Haben alle Teile von „Pirates oft the carribean“ gesehen?
Bewundern wir so einen nicht auch für sein Outlaw Dasein? Und ist das nicht
verrückt was er von seinem Kumpel erzählt, der sich für Geld Bände mit
isländischer Lyrik in den Arsch stecken lässt? Sicher, da muss sich einer
prostituieren und es ist entsetzlich und damit ist alles klar. Aber es ist auch
absurd, und es sind herrliche Bilder dafür wie absurd einem eine fremde
sexuelle Präferenz vorkommen kann, die man nicht teilt. Und ist außer dem einen
Entsetzlichen nicht noch viel Anderes Unklares da drin? Ist es nicht traurig,
dass es Menschen gibt, die dafür zahlen müssen, dass sie das mit der
isländischen Lyrik machen dürfen? Ist das nicht eine furchtbare Einsamkeit? Und
ist das nicht vielleicht etwas, das gar keinen Schuldigen kennt? Über all das
wird in Jena nicht hinweggeweint.
Aber der größte Unterschied zwischen den Aufführungen ist die zentrale
Geschichte zwischen Pellner und Dorsch. Lotz war ja selbst empört über die
Verurteilung eines somalischen Piraten durch ein deutsches Gericht. Aber dann
hat er sich gesagt: wenn es anständig sein soll, dann muss es um mich gehen.
Und ihm ist „Die Reise ins Herz der Finsternis“ eingefallen- auch Joseph Conrad
war zerrissen von seinem Widerwillen gegen die Kolonialherren und seiner Sehnsucht, in der Wildnis etwas über sich selbst
herauszufinden. Ohne die Angst-Lust vor fremden Ländern und vor den „Wilden“
lässt sich so eine Reise nicht beschreiben, und auch nicht die humanitären
Einsätze unseres Militärs. Pellner ist unser Alter Ego, er hat den Auftrag,
Gutes zu tun, und ist ein postkolonialer Rassist und Sexist, - und seine Ängste schauen ihn aus dem Dschungel heraus an.
Catrin Striebeck als Pellner
Catrin Striebeck parodiert diesen verklemmten, paranoiden Macho nach allen
Regeln der Kunst. Aber die Gefühle, die sie vermittelt, haben nichts mit ihm zu
tun, es sind Kommentare der Frau, die solche Gestalten kennt und unter ihnen zu
leiden hatte. Sie verachtet diesen Pellner, entlarvt ihn als mickriges
Würstchen, serviert seine testosterongeschwellten Gesten mit demonstrativem
Widerwillen. Das ist Kabarett- böse, gut
gemacht, aber oberflächlich. Hier wird nicht gegen die Gebote der Postmoderne
verstoßen: bestimmt wird niemand der Illusion verfallen, das sei ein echter Mensch;
niemand wird sich identifizieren- aber was man sieht, ist eben auch nur ein Klischee.
Ilja Niederkirchner ist Pellner
Ilja Niederkirchner hingegen hat die Teile, aus denen er seinen
mindestens ebenso lächerlichen Pellner zusammensetzt, aus der Tiefe seiner
eigenen Männerfinsternis, Blödigkeit und Not heraufgeholt.
Auch er spielt bei
Leibe keine naturalistische Figur. Die Filmvorbilder sind deutlich zu sehen und
wunderbarer Weise traut er sich, sich so zu bewegen, so zu sprechen, wie man es
nur von den allerschamlosesten Schauspielern kennt- oder eben aus der Wirklichkeit,
die sich auch oft weder um Dezenz noch um Wahrscheinlichkeit schert. Aber wenn
er den zähnefletschenden, augenrollenden Jack Nicholson imitiert, dann passiert
bei ihm etwas ganz Anderes als beim Striebeck’schen Macho. Bei den Faxen, die
Niederkirchner macht, gerät etwas tief in ihm in Schwingung und dagegen bäumen
sich furchtbare Gegenkräfte auf. Das ist “authentisch”, stimmt in ihm zusammen,
und steckt deshalb die Zuschauer an. Die grauenhafte Mischung aus Wollen und
Hemmung und dem Selbsthass, mit dem er im Sekundentakt auf alle Impulse
draufhauen muss, fährt einem beim Zuschauen auch in die eigenen Glieder. Ein
Zauber, der einen von diesem Joch der Zivilisation befreien könnte, den hat ein
Capitain Marlow sich im Herzen der Finsternis erhofft- der Gedanke daran
beutelt auch einen Pellner mit Angst-Lust.
In der Wiener Vorstellung kann man sich als guter Mensch fühlen, in Jena nicht
Hier kann also die “Typbesetzung” etwas, was der postmoderne
Geschlechtertausch nicht zustande bringt. Der Wiener Pellner von Catrin Striebeck
ist eine Witzfigur, und er ist böse. Wer im Publikum sitzt, kann sich selbst ungestört
weiter für einen durch und durch guten Menschen halten, denn mit diesem Pellner
ist keiner verwandt.
In Jena hat das Publikum es nicht so leicht. Hier ist Pellner Unterdrückter
und Unterdrücker in einem. Mit ihm vergleicht man sich fast zwangsläufig. Ja,
er ist schrecklich, aber was er in seinem bornierten Exotismus von sich gibt,
wird fast jeder auch schon einmal gedacht haben: ob die „Wilden“ nicht
glücklicher sind; ob man nicht etwas verloren hat- nein: ob es einem nicht
weggenommen wurde, - das das Leben lebenswerter gemacht hat. Und man spürt, was
Wolfram Lotz für sich als die einzig mögliche Position bezeichnet: „Eigentlich
geht es immer nur um mich.“
Eine echte Story!
Pellner
fühlt sich zunehmend bedroht, eingeklemmt zwischen dem Dschungel, („die
schrecklichen Wälder umgaben uns wie gewaltige schlafende Körper“) und dem
immer zutraulicher werdenden Dorsch. Es entsteht eine für Pellner fast
unerträgliche Nähe- er sieht Dorsch weinen. Er überlegt, dass er ihn töten
könnte- „Aber warum“ fragt er sich verunsichert „sollte ich das tun?“. Dann ist
Dorsch auf einmal verschwunden. Pellner gerät in Panik. Als Dorsch zurückkommt
und behauptet er wäre nur mal kacken gewesen, entsteht ein Riss zwischen den
beiden. Und dann finden sie im Herzen der Finsternis IHN, Deutinger, den
schrecklichen wahnsinnigen Mörder, den sie gesucht haben. Und genau wie bei
Conrad und Coppola ist da nichts, das Herz der Finsternis ist hohl.
Das Grauen! Das Grauen...
Bei
Conrad gibt es danach noch ein Kapitel, nach der furchtbaren Wahrheit kommt noch eine
gnädige Lüge. Die Frau des toten Kurtz besucht Marlow. Sie ist überzeugt, ihr
Mann sei der beste Mensch der Welt gewesen und habe sie abgöttisch geliebt.
Marlow verschweigt ihr alles, was er gesehen hat, und lügt, Kurtz’ letzte Worte
hätten ihr, seiner Frau gegolten (während er in Wirklichkeit das berühmte „Das
Grauen! Das Grauen..“ gesagt hat. Obwohl der unverbrüchliche Glaube dieser Frau
an ihren Mann nicht weiter weg von der Wahrheit sein könnte, wirkt ihre Liebe,
die nun für immer im Raum bleiben wird, trotzdem tröstlich. Lotz hat etwas ganz
Ähnliches gemacht. Dorsch bleibt bei Deutinger zurück um ihn zu schützen. Er
ist sicher, dass Pellner seinen Auftrag die Koordinaten von Deutingers
Aufenthaltsort durchzugeben, damit er via Luftangriff liquidiert werden kann,
nicht durchführen wird, wenn der Angriff auch Dorsch treffen müsste- so sicher
wie Kurtz’ Frau sich seiner Liebe war. Und er liegt genauso falsch. Aber die
letzten Worte des Stücks zeigen sein Vertrauen, das ist herzzerreißend- und
auch tröstlich:
Deutinger: Ich verstehe, dass es schwer war, nicht mit ihm zu gehen. Du hast
ja auch sowas zu ihm gesagt, bevor er ging.
Dorsch Was denn?
Deutinger: Du hast zu ihm gesagt, dass du die Hoffnung hast, dass ihr euch
immerhin erkannt habt, auch wenn du wüsstest, dass ihr keine Freunde geworden
seid.
Dorsch: Und was hat Pellner geantwortet?
Deutinger: Ich weiß nicht. Ich glaube, er hat gesagt „Mag sein“. Oder
irgendwas Ähnliches.
In Jena kann man dieser Geschichte in allen Details folgen. Die Aufführung ist lustig und verstörend und Lotz ein Hoffnungschimmer in einem Theaterjahr, in dem überall Eindeutigkeit auf den Bühnen verlangt wird - was dann tatsächlich oft zu Heuchelei führt.