Dienstag, 28. April 2015

Kertész gelesen. gelacht.


Zwischenbemerkung zum Text zum Tod von Günter Grass


Während ich mich abmühe, herauszufinden, was ich denn da unbedingt noch sagen will, über Grass und darüber, was ihm in der Blechtrommel gelungen ist (nämlich, nicht nur die halbe Welt sondern auch jemanden zu erreichen, für den kein anderer Roman über die Zeit des zweiten Weltkriegs jemals irgendeine Berechtigung gehabt hat: meinen Vater)- und während ich versuche zu verstehen, woran es liegt, dass Grass später nie mehr etwas Derartiges gelungen ist, - während ich also um und um und herumdenke, lese ich einen Text von Imre Kertész aus dem „Galeerentagebuch“. Und die folgende Stelle ist so großartig, dass ich sie hier einfach komplett abschreiben muss. Ich habe laut gelacht, das gewisse Auflachen beim „Ja, genau!!“ – Erlebnis.

(Dieses „Ja, genau“, das mir bei Kunst die meiste Freude und Erkenntnis bringt, ist nicht das zufrieden rechthaberische Es-immer-schon -gewusst haben. Bei diesem "Ja genau!" hat man es vielmehr bis zu eben diesem Moment NICHT gewusst, bzw. hat es nicht formulieren können, in Worten nicht und auch nicht in sonstigen wolkigeren Gedankenformationen. Bewusst war einem in diesen Fällen nur die Frage, und auf die präsentiert sich einem mit einem Knall die absolut richtige, einzig mögliche Antwort. Merkwürdig ist dabei nur das Wissen um die Richtigkeit. Dadurch entsteht das Gefühl, die Antwort sei schon lange in einem vorhanden gewesen, und wenn man sie dann liest, stellt sich mehr noch als ein Erkennen das unabweisbare Gefühl des Wiedererkennens ein. Es ist das berühmte und geliebte Evidenzerlebnis,- man kann sein Zustandekommen auf verschiedenste Arten deuten, auf jeden Fall macht es einem aber eine Riesenfreude- und man muss laut lachen, weil es so richtig ist, was man da sieht).


Varianten des Pessimismus. – Der dogmatische Pessimist.
 
Zumeist der verirrte Kleinbürger. Dogmatischer Pessimismus mündet gewöhnlich in dogmatischem Weltverbesserertum. Der dogmatische Pessimismus als Kunst: immer Moralismus. 
Sein häufigster Gegenstand ist die Freudlosigkeit (die unangenehme, jeder Erlösung ermangelnde Beschreibung einer empörenden gesellschaftlichen Ungerechtigkeit oder eines langen Todeskampfes etwa, wie bei Simone de Beauvoir, «Ein sanfter Tod»). Der moralisierende Künstler bleibt letztlich immer beim persönlichen Fall und bei der fruchtlosen Empörung.
 

Romantischer Pessimismus.
 Er weist die Welt ab, flüstert uns dabei aber seine Geheimnisse ins Ohr. Wie der Gelegenheitsschwindler erschleicht er sich unsere knausrig versteckte Sympathie. Seiner unterschwelligen Tendenz nach ist dieser Pessimismus nämlich Klage, Ergebenheit und Flehen. In den schlimmsten Formen ein verhülltes appellieren an den «nüchternen Verstand».
Dieser Appell an die triumphierende Welt findet immer Gehör. Ergebnis: ein sentimentales Sichumarmen, der Henker verzeiht dem Opfer. –


Der Moralist kann kein Künstler sein, weil er die Welt nicht schafft, sondern über sie richtet und so eine völlig überflüssige Arbeit erledigt. 

Um sich selbst zu rechtfertigen und als Entschädigung, wenn nicht gar aus Rache, zeigt er sein Opfer, den Menschen, als einen ewig moralisch Leidenden, wofür ihn dieser in der Realität natürlich kräftig auslacht. Denn in der Realität ist die Moral ein zwar unabdingbares, zugleich jedoch auch das biegsamste Element menschlichen Verhaltens, und mir ist noch kein moralischer Mensch begegnet, der nicht seine eigene moralische Wahrheit, ja Überlegenheit empfunden hätte. Nicht die Moral: die Spiele, die mit ihr getrieben werden, im Spiegel des Bewußtseins und des Lebenswillens, das ist das Interessante, vornehmlich unter den Bedingungen der totalitären Diktatur.

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