Nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo hat BBC 4 den Autor Will Self um eine Stellungnahme zur aktuellen Rolle der Satire in der Gesellschaft gebeten. Sie hatten von ihm, dem berühmten Satiriker, eine flammende Rede darüber erwartet, dass der Satire alles erlaubt sein müsse, aber er kommt zu einem ganz anderen Ergebnis:
Will Self ist einer meiner beiden Leib- und Magenautoren,
wenn es um Literatur über Psychiatrie/Psychosen / Drogen/Bewusstsein geht (der
andere ist Rainald Götz). Seine Bücher aus den 80-er Jahren sind allerschwärzeste Satiren, bösartig, mörderisch
überdreht, ekelhaft und enorm lustig. Obwohl Self damals oft als britischer
Gegenpart zu Bret Easton Ellis bezeichnet wurde, und obwohl seine Texte ebenso
drastisch waren wie die von Ellis, wirkten sie auf mich ganz anders, komplex, zärtlich,
verzweifelt, und zutiefst dem Glauben an eine bessere Welt verpflichtet. Durch „DieQuantitätstheorie des Irrsins“ von Will Self (und durch „Irre“ von Götz)
verstand ich, was ich selbst in der Psychiatrie empfunden hatte, er holte es
aus allen Teilen meines Gehirns, machte eine Erzählung daraus, formulierte es
für mich. Er erzeugt diesen wunderbaren „Ja, genau! “ Effekt, ich erfuhr, dass
ich nicht allein war und auch, dass Literatur das bewirken konnte. In seinen
beiden neuen Romanen „Umbrella“ und „Shark“ kehrt Will Self zu einer Figur aus der Quantitätstheorie des Irrsinns,
dem Psychiater Zack Busner, zurück, aber sein Stil hat sich völlig gewandelt. Wo
früher bösartige Groteske war, taucht man jetzt tief in die Psyche der
einzelnen Personen, ihre Gedankenströme sind kunstvoll ineinander verflochten-
deutlich nach dem Vorbild von Joyce- jede Satire ist verschwunden. Die Wandlung ist verblüffend, als habe Self sich
gesagt: „now to something completely different“ (übrigens mit stupendem Erfolg,
ich werde alle drei Bücher, das alte und die beiden neuen demnächst hier
besprechen).
Ich dachte beim Lesen von „Umbrella“ ,
vielleicht sei es einfach eine Frage des Alters, vielleicht bleibe keiner ein
Leben lang bissiger Satiriker. Lustiger Weise nennt Self in seinem Radiobeitrag als erstes
denselben Verdacht. Ihm fällt auf, dass
er als Satiriker zu den Vorfällen befragt wird, seine beiden letzten Bücher
aber überhaupt keine Satiren mehr sind. Er
ist besorgt, ob er womöglich wie so viele alternde Komiker nun endlich ernst
genommen werden möchte. Aber dann kommt er zu einem anderen Ergebnis. Er fragt
sich, wann Satire die richtige Form ist. Wann ist es für ihn in Ordnung, sich
über etwas lustig zu machen? Und er nennt
die Regel, an die er sich bei Satire immer gehalten hat:
„It
should comfort the afflicted and afflict the comfortable“.
Es sollte die Gequälten trösten und die Satten quälen“. Vor jeder
Veröffentlichung eines Textes hat er sich gefragt: Wen tröstet er? Wen quält
er?
Will Self kommt zu dem sehr
einleuchtenden Schluss, dass es für Satire einen gemeinsamen Wertebezugsrahmen
geben muss, sonst funktioniert sie nicht. Satire kann die Scheinheiligkeit der Mächtigen dem Gelächter
preisgeben, sie kann die, die sich allzu bequem in ihrer Moral eingerichtet
haben, quälen. Das hat aber zur Voraussetzung, dass die Mächtigen, um die es
geht, zumindest vorgeben, an dieselben Werte zu glauben wie diejenigen, die sie mit
Hilfe ebendieser Moral gefügig halten wollen. Andererseits kann
Satire auch „systemerhaltend“ sein, indem sie zeigt, dass sich niemand wirklich hundertprozentig an die Regeln hält, dass nichts so heiß gegessen wie gekocht wird, sie
kann die Gequälten trösten, indem sie zeigt, dass wir alle unsere Schwächen haben.
Wie verhält sich das mit Witzen oder Satire über Religion?
Eigentlich funktioniert das immer nur innerhalb einer Religionsgemeinschaft. Zum
Beispiel gibt es innerhalb der jüdischen Gemeinden viele Witze, die sich damit
beschäftigen, wie die Regeln, was man am Schabbes alles nicht tun darf- nicht
mehr als soundso viele Schritte gehen, keine technischen Geräte bedienen etc.-
mit listigen Tricks umgangen werden können. Der klassische Witz dazu geht so: Drei Männer
streiten sich, welches Dorf den
großartigsten Wunderrabbi hat. Der erste sagt: „Unser Rabbi kann tun Wunder wie
Moses! Neulich is a Jüngelach hinausgefahren mit
dem Boot auf den See. Plötzlich kippt das Boot um, das Jüngelach fallt ins Wasser und hätt gemusst ertrinken. Alles steht und schaut, aber keiner kann schwimmen. Da hat unser Rabbi gehoben
die Hand, links war Wasser, rechts war Wasser und in der Mitte ist der Rabbi
gegangen und hat gerettet das Jüngelach.“ „Das ist noch gar nichts“, sagt der
zweite, „bei uns im Dorf war a schreckliches Feuer. A ganzes Haus hat gebrannt und
ganz oben unter dem Dach eine Frau mit ihrem Kind. Da hat unser Rabbi gehoben
die Hand, links war Feuer, rechts war Feuer, in der Mitte hat sich geöfffnet
ein Gang, und der Rabbi ist hinauf und hat gerettet die Mutter und das Kind.“ Sagt der
dritte: „Peanuts! Bei uns war das ganze Dorf in Gefahr. Es hat
sollen geben ein Prozess und wenn der Rabbi nicht hätte rechtzeitig vor Gericht
vorsprechen könne, wäre es mit uns allen aus gewesen. Aber das Gericht war meilenweit weg
in der nächsten Stadt und es war Schabbes- wie hätte er hinkommen sollen? Wir
waren verzweifelt, haben gedacht, es ist alles aus. Da hat der Rabbi gehoben
die Hand- und was soll ich euch sagen? Links war Schabbes, rechts war Schabbes-
und in der Mitte ist gefahren der Zug!“ Dieser Witz ist zu einer stehenden
Redewendung geworden, immer wenn man
sich aus den Schabbesregeln herauswinden möchte. Das heißt man lacht darüber,
wie man sich die Regeln zurecht biegt, das Lachen ermöglicht es, zu sagen: wir
alle nehmen es nicht ganz so streng mit den Regeln, wir sind aber deshalb noch keine
schlechten Menschen, wir werden einander auch nicht gleich aus der Gemeinschaft
hinauswerfen, wir sind alle schwach , aber wir lachen darüber. Das ist das Systemerhaltende
an diesen Witzen. Das funktioniert natürlich nur innerhalb der jüdischen
Gemeinschaft. Es funktioniert nicht, wenn derjenige, der den Witz erzählt, und
der, der ihn hört, nicht den selben
Bezugsrahmen haben. Wenn der, der ihn
hört, gar nicht weiß, was am Schabbes alles verboten ist, versteht er nicht,
worin der Witz liegt. Wenn sich aber zwei Nichtjuden diesen Witz erzählen, dann
vielleicht um drüber zu lachen, dass Juden Menschen sind, die ihre eigenen
Regeln mit gefinkelten Tricks umgehen. Und womöglich sind das zwei
selbstgerechte Menschen, die denken: wir halten unsere Regeln ein, aber Juden
tun das nicht. Dann bedeutet dieser Witz nicht mehr: wir sind doch alle
schwach, sondern: Juden beugen Regeln zu ihrem eigenen Vorteil, sind
schlechtere Menschen als wir und das ist es worüber wir lachen. Auf einmal ist
das keine tröstliche Satire mehr sondern Antisemitismus. Es ist derselbe Witz, aber
ohne gemeinsamen Kontext wird er offensiv
Es gibt auch Religionswitze, die so gehen: Treffen sich ein
Rabbi, ein Priester und ein Imam an einem heißen Tag an einem See, aber sie
haben keine Badehose dabei… Oder so: Ein Jude, ein Christ und Atheist stehen an
der Himmelstür und wollen hinein…. Es folgen Geschichten darüber, wie
sich jeder von den Dreien auf seine jeweils eigene Art aus dem Dilemma herauswurschtelt. Diese Art von
Witzen hat ebenfalls einen gemeinsamen Kontext, der in etwa lautet: wir haben
alle irgendein System aus ethischen Regeln. Wir alle befolgen einen Teil
dieser Regeln, wir alle haben aber auch unsere Mittel und Tricks um sie zu
beugen. Wir haben zwar nicht alle dieselbe Religion, aber wir sind uns insofern
ähnlich, als wir alle ein Moralsystem haben,
das, wenn es nicht selbst eine Religion ist, so doch aus einer
abgeleitet ist. Und während wie uns im Großen und Ganzen daran
halten, begehen wir doch alle unsere kleinen Sünden.
So kann es auch bei Angehörigen verschiedener Religionen einen
gemeinsamen Raum geben, in dem man lachen kann. Der muss aber hergestellt
werden und jeder, der an ihm teilhat, muss bereit sein, als erstes die
Schwächen der eigenen Gruppe der Lächerlichkeit preiszugeben. Das ist nur
möglich, wenn zwischen den Gruppen politisch und ökonomisch einigermaßen
Frieden herrscht.
Will Self meint, dass es diesen gemeinsamen Raum in Frankreich
oder auch bei ihm in England zur Zeit nicht gibt. Die Karikaturen in Charlie
Hebdo seien von den Falschen für die Falschen gemacht gewesen, hätten nicht die
Mächtigen beunruhigt und die Schwachen getröstet.
Ich hatte mir über das alles noch keine Gedanken gemacht.
Ich habe seit einiger Zeit versucht, mir den ironischen Stil zurück zu erobern,
den ich vor langer Zeit aufgegeben hatte.
Als ich zu schreiben begann, war
der ironische Ton bei mir sozusagen Werkseinstellung. Er funktionierte in jungen Jahren gut in Briefen,
in Artikeln für die Schülerzeitung, später auch für die Stadtzeitung und in ein
paar kleinen Geschichten. Mein Stil galt als leicht und amüsant und ich schrieb
mühelos und schnell (selige Zeiten waren das!).
Bald darauf begriff ich mich dann aber als Teil der
außerparlamentarischen Linken. Und da
hieß es, wer über gesellschaftliche Probleme so schreibt, dass man über sie
lachen kann, verschafft jener Wut ein Ventil, die den Umsturz der Verhältnisse
herbeiführen könnte. Das wollte ich nicht, und ich musste auch zugeben, dass
meine Ironie tatsächlich einer fatalistischen Grundhaltung entsprang. Wenn ich
den Tonfall in meinem Innere einschaltete, konnte ich mein jüdische Großmutter
hören, wenn sie sagte „ No, wos soll man scho machen“, oder aber die
orientalischen Händler am Wiener Naschmarkt, die mit derselben Geste, die auch
meine Großmutter machte – zum Himmel gedrehte Handflächen, ein seitlich
geneigter Kopf, hochgezogene Schultern- „Inschallah“ sagten, wenn ihnen eine
Steige Obst hinunterfiel und am Boden zerplatzte. Aber es sollte eben kein
Schicksal sein, dass alles so blieb, wie es war, es sollte sich alles ändern,
und ich gab meinen ironischen Tonfall auf.
Nun, da es mit der Revolution nichts geworden ist und ich
durchaus nicht mehr denke, dass alle Konflikte zwischen Menschen unbedingt
radikal zugespitzt werden sollten, habe ich versucht, die ironische Sprache
wieder einzusetzen. Aber ich merke, genau wie Will Self es beschreibt, dass mir
diese Sprache nicht mehr so zur Verfügung steht wie früher. Zwar glaube ich,
den Tonfall noch zu beherrschen, aber ich muss vorsichtig sein. Oft bin ich
nicht mehr lustig sondern beleidigend. Rund um mich ist keine Gruppe mehr, die
sich ganz selbstverständlich auf gemeinsame Wertvorstellungen beziehen würde. Aber
Witze müssen „grenzwertig“ sein, wenn
sie nicht an einer Grenze balancieren, sind sie nicht lustig. Ich komme aus einer
jüdischen Familie. Ich weiß, dass die allerübelsten Witze über Juden von Juden
erzählt werden. Und es nicht etwa so, dass sie denken es sei ja „gar nichts
dran“ – dann wären sie auch nicht lustig. Aber wenn dieselben- oder sogar viel mildere Witze von Nichtjuden erzählt
werden, dann wittern Juden schnell Antisemitismus, und wer könnte ihnen das
verübeln. Christen, die intern gern alles locker nehmen, werden Atheisten
gegenüber schnell „päpstlicher als der Papst“ wenn sie sich angegriffen fühlen.
Und ich bin sicher, dass auch Muslime sich nicht zu jeder Zeit derart schnell
beleidigt gefühlt haben wie jetzt, wenn
der Name des Propheten fiel.
Nehmen wir die
Schottenwitze- in der Hoffnung, dass kein einziger Schotte diese Zeilen liest.
Schottenwitze habe nur ein einziges Thema: Schotten sind furchtbar geizig. Auch Schotten selbst erzählen diese Witze.
Und nach allem, was man hört, ist an der Sache auch was dran. Bis zu einem
gewissen Grad kann man also Schotten damit aufziehen. Man kann seinen Ärger
darüber, dass sie zum Beispiel zu wenig Trinkgeld geben, mit einem Witz
entschärfen. Voraussetzung dafür ist eine gemeinsame Grundeinstellung, die da heißt, man soll nicht alles
für sich behalten, sondern immer auch einen Teil der Allgemeinheit geben,
großzügig sein, auch wenn man persönlich nichts dafür zurück bekommt. Alle denken das, und allen ist gleichzeitig es ein bisschen unangenehm,
etwas hergeben zu müssen. Am schlimmsten ist das bei den Schotten, sagen Witze
und Vorurteile, und auch die Schotten selbst. Solange man Witze darüber machen
kann, und auch sagen kann: jedes Volk hat so seine Mätzchen. Schotten sind
geizig, andere haben andere Fehler, - solange muss man sich eventuell deswegen
nicht die Schädel einschlagen. Solche Satiren sind systemerhaltend und das
System ist das des halbwegs friedlichen Zusammenlebens von Gruppen mit
verschiedenen Mentalitäten. Über die kann man sich lustig machen, und eventuell
muss man da auch ein bisschen verhandeln, aber man kann auch damit leben. Man muss
niemanden deshalb ausschließen, verjagen oder gar umbringen. Das muss klar
sein. Ohne dieses Grundvertrauen sind
Witze nicht möglich.
Dieses Grundvertrauen ist nicht mehr da. Will Self kommt deshalb
zu dem Schluss, dass Satire unter den momentanen multikulturellen Bedingungen
nicht möglich ist. Allen das gemeinsame System aufzuzwingen, das die Witze erst
verständlich und dann lustig macht, hält er für Kulturimperialismus.
Was für ein Verlust. Wie schade, diesen gewissen Stil nicht mehr benutzen zu
können, der in Andeutungen spricht; den Tonfall, der davon ausgeht, dass alle,
die etwas von einem lesen werden, im Grunde dasselbe denken, wünschen,
verachten, ahnen wie man selbst; dass man Codes zur Verfügung hat, um sich über
Unaussprechliches zu verständigen, weil man- zu einem gemeinsamen Stamm gehört.
Der Komiker Jerry Seinfeld hat neulich in einem Interview
gesagt, der schönste Moment bei der Emmy Verleihung sei für ihn immer, wenn die
Comedy Schreiber auf die Bühne kommen. „Du siehst diese Gnom- artigen Kretins,
fast alle irgendwie missgebildet. Und du denkst dir: ja, so bin ich. Da gehöre ich
dazu. Das ist mein Stamm. Wenn du fünfzig bist, willst du nicht mehr bei den coolen Leuten sein. Du
willst bei deinen Leuten sein.“
Als er das sagte „I knew: that’s me, that‘s my tribe“ hat es
mir die Tränen in die Augen getrieben
vor lauter Selbstmitleid, weil ich keinen solchen Stamm habe. Und
bestimmt ist es kein Zufall, dass gerade die Comedy Schreiber so etwas von sich
sagen können, denn wenn sie es nicht könnten, wenn sie keine große Gruppe da
draußen spüren würden, die im Grund so denkt und fühlt wie sie, dann könnten
sie ihr Witze nicht machen. (Und natürlich sind
das die Kulturimperialisten, ich bin froh dass mir Will Self ein so böses
Schimpfwort aus den guten alten linken Tagen für sie an die Hand gegeben hat, wenn ich schon nicht zu ihnen gehören kann. Saure Trauben…)
Die beiden letzten Romane von Will Self sind großartig. Er
hat sich sprachlich völlig neue Bereiche erschlossen, seit er nicht mehr
satirisch schreibt. Vielleicht ist es immer auch eine Chance, keinen Stamm mehr
zu haben, mit dem man sich über Codes austauschen kann. Denn ich spreche ja
auch zu mir selbst im Kopf in demselben ironischen Ton, in dem ich früher so
locker schreiben konnte; ich benutze auch mir selbst gegenüber diese
Auslassungen, habe auch für mich an den „gewissen Stellen“ keine Worte. Codes sind Übereinkünfte innerhalb
einer Gruppe, gibt es die Gruppe nicht
mehr, zerbröckeln die Codes mit der Zeit.
Und dann, wenn an diesen Stellen, an denen ich früher mit mir selbst witzeln
konnte, endgültig keine Verständigung
mehr möglich sein wird, werde ich versuchen müssen, neue Ausdrucksformen zu
finden, um wenigstens mit mir selbst zu reden.
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