Sonntag, 16. August 2015

KSK - Teju Cole, Open City

KSK- Kurze schlechte Kritik, Was soll das? Wie kommt das hierher? - klick hier

Ich hasse es wenn Geschichten ganz am Ende eine Wendung nehmen, die enthüllt, dass alles bis zu diesem Punkt vollkommen anders gewesen sein soll, als man gedacht hat. Ich fühle mich für blöd verkauft. Ich soll im Rückblick bewundern, wie subtil der Autor das alles konstruiert hat! Von mir aus- aber was war mit meinem Leseerlebnis bis zu diesem Punkt? Das Gebäude, das ich mir in meiner Phantasie gebaut habe, wird nicht nur eingerissen, sondern auch als minderwertig diskreditiert- der Autor hatte die ganze Zeit etwas viel Tieferes und Beunruhigenderes im Sinn, er wollte es mir nur nicht verraten. Das ärgert mich prinzipiell. Und dann stellt sich noch die Frage: war denn die „falsche“ Geschichte, die ich bis dahin gelesen oder gesehen habe , für sich genommen trotzdem eine gute, befriedigende Story oder nicht? Sitze ich jetzt da, mit dem Gefühl, dass die Geschichte zwar vielleicht interessant gewesen wäre, wenn ich nur gewusst hätte, worum es eigentlich geht, mich aber, da ich es eben nicht wusste, total kalt gelassen hat? Oder hat der Teil bis zur überraschenden Wendung – auch „falsch gesehen“- dennoch auch für sich allein funktioniert?

Positives Beispiel “Fight club“ – ich hatte wie vermutlich 99,9 % aller Zuschauer beim ersten Mal keine Ahnung dass Edward Norton und Brad Pitt („Tyler Durden“) zwei Aspekte ein und derselben Person sein sollten. Als sich das- in der allerletzten Szene- herausstellt, war ich kurz stinkwütend. ABER: der Film, den ich in der Meinung ,das seien zwei verschiedene Männer, gesehen habe, war mitreißend, saukomisch und erschütternd, er war schon ohne die Pointe einer meiner Lieblingsfilme- also, wie man in Österreich sagt: sei’s drum.

Negatives Beispiel: „Gone Girl“, der beliebteste Krimi aus dem Vorjahr ( der dann prompt ebenfalls von David Fincher verfilmt wurde. Fincher scheint solche blödsinnigen unvorbereiteten Wendungen in den Vorlagen für seine Filme zu mögen- aber aus Gone Girl konnte selbst er nichts machen). Bei „Gone Girl“ von Gillian Flynn wird man ungefähr zweihundert Seiten lang von dem flachsten, ödesten Geschwätz gequält, das man sich vorstellen kann, Tagebuchaufzeichnungen der verschwundenen jungen Frau. So schrecklich, dass man schreien möchte vor Langeweile, sogar dann wenn man, wie ich, nur jede vierte Seite liest. Dann erfährt man, dass die Ödnis ABSICHT war- das Tagebuch war gefaket, und nur ein Ablenkungsmanöver. Schön, das mag ja ein guter Grund für die Hauptfigur gewesen sein, diesen Mist zu schreiben um ihre Verfolger abzulenken. Aber welchen Grund hatte die Autorin, mich, die Leserin mit dem Zeug zu quälen?

Teju Coles „Open City“ ist ein ähnlicher Fall. Die Hauptfigur, Julius, spaziert zuerst durch New York, dann eine Weile durch Brüssel, dann wieder durch New York. Der junge Mann ist ein Psychiater in Ausbildung (deshalb stand das Buch auf meiner Liste), und er kommt aus Nigeria, wie der Autor. Anders als der Autor hat er eine deutsche Mutter, nur der Vater war schwarz. Er spaziert also herum, beobachtet Leute, Häuser, redet mit ein paar Menschen, Zufallsbegegnungen, denkt auch mal an seine Vergangenheit. Dabei ist er immer irgendwie diffus distanziert, nie entwickelt sich auch nur die leiseste Beziehung, dafür hat er zu allem furchtbar gebildete Assoziationen. Es kommen immer wieder Orte der Gewalt vor, Ground Zero natürlich, ein Memorial für schwarze Tote aus dem Bürgerkrieg, die Einwanderungsbehörde. Der Erzähler beschreibt (jaja, ganz gut) und schwadroniert im Kopf hochgestochen vor sich hin, Nietzsche, Mahler, Derrida, Freud, sein Kopf ist ein einziges Name- und Zitatdropping. Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, ich sei dazu aufgefordert, ihm dieses prätentiöse Gerede zu verzeihen, weil er schwarz ist, und dass ich, was ich bei einem weißen Erzähler unerträglich gefunden hätte, bei einem schwarzen bewundern soll.

In der Mitte wollte ich völlig gelangweilt aufhören, las in die Kritiken rein, hatte mich erinnert, dass sie gut waren- aber sie waren euphorisch. Hymnen! Praktisch alle verglichen ihn mit Sebald. Manche mit Walter Benjamin. Tenor: Teju Cole hat dem Prinzip des ziellosen Umherstreifens zu neuem Glanz verholfen. Alle sangen das Lob dieses wunderbaren Tons- ich war offenbar allein mit meinem völligen Entnervtsein von seiner Beziehungslosigkeit und seinen hochgestochenen Gedankenschnörkeleien. (Wobei ich natürlich einverstanden wäre, die Einsamkeit eines Helden mitzuerleben, aber damit er für mich fassbar würde, müsste er unter seiner Entfremdung und Einsamkeit leiden! Was nicht bedeutet, dass ein solcher Held jammern muss! Ein wunderbar einsamer Beobachter ist zum Beispiel der Held in Pessoas Buch der Unruhe, einsam, entfremdet, beobachtet er, ebenfalls gelassen- aber er ist zutiefst verzweifelt, weshalb man ihn versteht und alles miterleben kann).

Also: diesem Julius ist alles egal, und die Kritiker behaupten, das sei gerade das Schöne.

Las also noch weiter. ratlos- irgendwas stimmte da nicht. Mit mir? Den Kritikern? Mit Teju Cole? Mit Julius? Ahh! Mit Julius!!! Auf Seite 314 (!!) von 334 Seiten kommt die Pointe, die alles wendet: eine junge Frau, die ihn aus Nigeria kannte, während er sich nicht an sie erinnert, -sie war die Schwester eines Schulfreunds-, erzählt ihm am Morgen nach einer Party, dass er sie vor vielen Jahren vergewaltigt hat als er vierzehn und sie fünfzehn war. Sie ist seitdem traumatisiert, hat jeden Tag Alpträume von ihm, ihr ist klar, dass sie vor Gericht keine Chance gehabt hätte, sie waren allein, niemand hätte ihr geglaubt. Ihr ist inzwischen auch klar, dass er sich überhaupt nicht erinnert, deshalb muss sie es ihm wenigstens sagen.

Ah sooooooo. Also alles anders. Seine Haltung war die ganze Zeit die eines schwer psychisch gestörten Menschen, der ein Gewaltverbrechen begangen und verdrängt hat und so große Anteile von sich abgespalten hat, dass er überhaupt keine Gefühle mehr für irgendwas aufbringt. Ja gut. Super. Vermutlich ganz akkurat geschildert. Kann sein, dass so einer so ist. Aber warum zum Teufel musst ich mir bis Seite 314 seine gefühlsleeren, gekünstelten Ausführungen über New York und die Welt im 21. Jahrhundert anhören? Etwa weil er stellvertretend für alle vom schwarzen Kontinent stehen soll, in deren tiefsten Seelentiefen die Gewalt der Jahrhunderte solche Verheerungen angerichtet hat, dass sie jetzt nur noch großspuriges leeres Zeug denken können? Bullshit!

Oder ist es vielleicht so, dass der Autor zweigleisig fährt, dass er mir und sich selbst zur Sicherheit beide  Optionen offeriert: entweder mir gefällt das großspurige, „coole“ Zeug sowieso ganz toll,- dann muss ich die Sache mit der Vergewaltigung halt irgendwie schlucken. Oder ich finde es öde, dann krieg ich am Ende erklärt: ja klar ist es öde, das war Absicht! Es sollte ein seelisch verarmter pathologischer Fall geschildert werden.

Die Kritiker teilen sich in verschiedene Kategorien.

James Wood, (einer meiner Lieblingskritiker, mit dem ich sonst ganz oft einer Meinung bin) schreibt im New Yorker eine lange und begeisterte Kritik (Sebald! Benjamin!), er beschreibt jede einzelne Situation, die im Roman vorkommt- und erwähnt dann die Sache mit der Vergewaltigung mit keinem Wort. Am Ende schreibt er: „Julius is not heroic, but he is still the (mild) hero of his book. He is central to himself, in ways that are sane, forgivable, and familiar.” Hat er die Vergewaltigung- eine Schock und Sensationsszene- übersehen? Oder hat der berühmte James Wood das Buch etwa nicht bis zu Ende gelesen? Jedenfalls scheint es ziemlich unmöglich, dass er die Art, wie ein Vergewaltiger, der nicht im Stande ist über seine Tat nachzudenken, zu sich selbst steht, als „gesund, verzeihlich und vertraut" bezeichnet. Hier stellt sich mir ein echtes Rätsel- und ich bin das erste Mal im Kontext dieses Buches wirklich gespannt: hat James Wood die Vergewaltigung ebenso erfolgreich verdrängt wie der Held des Buches?? Bemerkenswert!

Dem Kritiker der Sunday Book Review ist sie wenigstens aufgefallen- er spaltet sie aber völlig vom restlichen Buch ab. Im letzten Absatz nach einer langen Lobeshymne macht er „einen kleinen Einwand“ geltend- die Sache mit der Vergewaltigung, das sei doch völlig unnötig, ein Anfängerfehler, womöglich sei das überhaupt nur das Werk des Lektors, der ein wenig Dramatik habe hineinbringen wollen .

Die meisten Kritiker sind mühelos wechselwendisch. Sie bleiben dabei, dass ihnen die Haltung des Erzählers angenehm und überaus sympathisch war, Sebald! Benjamin! – wunderbare heitere Gelassenheit! Wiedergeburt des unaufgeregten Flaneurs, - und dann, am Ende bewundern sie Cole dafür, dass ihnen der Erzähler nun doch „ein wenig unheimlich wird“ durch das, was da herauskommt.

Was jetzt??? Entweder der Ton war auf authentische Weise wunderbar gelassen- oder er war konstruiert, um einen durch die Verdrängung eines Gewaltverbrechens psychisch schwer gestörten zu charakterisieren: flach, emotional leer, prätentiös.

(Ich habe bei den amerikanischen Kritikern überall, wo es Fotos gab, draufgeklickt- sie sind alle weiß. Was nicht sehr verwundert. Vermutlich gibt es inzwischen ziemlich viele schwarze Romanautoren, die von ihren genuinen Erfahrungen berichten dürfen- aber Kritiker, die ja Urteile aussprechen, also die Macht der Objektivität vertreten sollen, sind immer noch in großer Mehrheit weiß. )

Also ich finde: das Ding fließt eben gerade nicht frei dahin, sondern ist überkonstruiert und symbolbeladen, wenn man es von der Schlusspointe aus anschaut, ist es ein einziger Holzhammer von einem Konstrukt: schwarz und weiß kämpfen mitten in der Brust des Helden- deswegen kriegt er eine weiße Mutter und einen schwarzen Vater. Historische Gewalt sitzt tief im Leben jedes Einzelnen, auch und gerade im dem der Opfer- deshalb hat er ein Mädchen vergewaltigt. Das alles ist nicht zu fassen, unbegreiflich- deshalb hat ers vergessen. Damit man dazu trotzdem ein bisschen Theorie bringen kann (black Box Seele, man glaubt man kann in die eigene sehen, is aber Illusion)- ist die Figur Psychiater. Da kann sie mal über sowas nachdenken. Und das endet mit einer Supersupersymbolszene: zuerst 9. Mahler, er sperrt sich selber aus auf die Feuertreppe, dann die Zahl der Vögel, die täglich sterben, weil sie gegen die Freiheitsstatue knallen. Ende. … Puhh.

Ende der Schimpftirade.



Wer einen wunderbaren Roman mit einem Verbrecher als Icherzähler lesen will, in dem die Verdrängung phantastisch erzählt, teilweise aufgelöst usw wird- spannend, philosophisch, großartige Sprache, dem empfehle ich John Banville „The book of evidence“.

2 Kommentare:

  1. Nein, nein, diese Kritik ist viel zu pauschal, übertrieben und arrogant! Und zwar aus persönlichen Gründen - ich hatte den Eindruck, dass der Autor hier mit einer allzu simplen Lösung für ein literarisches Problem "durchkommt" - was ich ihm nicht gönne, weil ich an demselben Problem wieder und wieder gescheitert bin. Deshalb bin ich über den Text hergefallen- und habe verschwiegen, dass mir einige Passagen tatsächlich sehr gefallen haben - auch der Rest hat mich nicht so eindeutig gelangweilt, wie ich behaupte. Eindeutig war nur der Ärger darüber, wie oberflächlich er die Psychiatrie als "Setting" benutzt hat um ein paar seiner Überlegungen loszuwerden, und der Neid, dass ihm seine nicht idealen Lösung so einfach verziehen worden ist. Ich werde also auf das alles noch mal zurückkommen und es revidieren müssen- zu meinem eigenen Besten. KSK's sind wohl doch keine gute Idee...

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  2. hab das buch gerade durch und sehs genauso: nach 314 seiten zu erfahren eher gelangweilt einem vergewaltiger gefolgt zu sein, hat mich nicht gerad in hochstimmung versetzt.
    zumal es auf den letzten zwanzig seiten zu keinem bezug auf die tat kommt.
    weiß seitdem nun immerhin, wie wenig ich mich auf kritiker_innen verlassen kann.

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