Welches Buch von der Longlist würde ich weiterlesen wollen, nachdem ich den Anfang gelesen habe?
In den Buchhandlungen bekommt man zur Zeit ein Buch mit Leseproben von allen 20 Titeln, die auf der Longlist stehen- für einen minimalen Unkostenbeitrag. In "meiner"Buchhandlung, Ocelot in der Brunnenstraße, hat die Buchhändlerin auf meine Frage, was ich dafür schuldig wäre, gesagt: "Ein Lächeln".
Ich werde jetzt die 20 Leseproben lesen und immer zwei Bewertungen abgeben:
1: Ich lese weiter oder nicht - nach einer Seite. Ich persönlich entscheide normaler Weise immer spätestens nach einer Seite.
2: Ich lese weiter oder nicht nach der Leseprobe in diesem Heft - die ist immer ca. fünf Seiten lang.
Ich werde versuchen nicht zu berücksichtigen, was ich über die Autoren weiß.
Außerdem werde ich mich beim Entstehen meiner Entscheidungen beobachten und versuchen zu beschreiben, wie meine Intuition zu ihren Schnellschüssen kommt. Einige meiner Lieblingsbücher hätte ich niemals gelesen, wenn ich dieser meiner Methode gefolgt wäre. Gott sei Dank gibt es auch noch Empfehlungen von Freunden und Kritiken, die mich Bücher auch dann lesen lassen, wenn ich von der ersten Seite nicht begeistert bin. Trotzdem finde ich es interessant, wonach ich da eigentlich entscheide. Natürlich auch, um demnächst eine erste Seite zu schreiben, nach der wenigstens ich unbedingt weiter lesen würde.
Wenn ich alle durchhabe, werde ich meinen Tipp für die Short-list abgeben. Über MIt und Gegentipper in den Kommentaren würde ich mich freuen!
Ich gehe nach der Reihenfolge im Buch vor. Die ist alphabetisch.
MIRKO BONNÉ Lichter als der Tag
1: nein
2: ja
Warum ich nach einer Seite nicht weitergelesen hätte: Die erste Seite handelt von einem bestimmten Licht, über das der Protagonist schon als Junge oft nachgedacht hat. Zweimal heißt es "Licht", zweimal "Leuchten", wird verglichen mit dem Leuchten auf einem impressionistischen Gemälde, "Pracht der Himmels" "nicht sattsehen können", "Lichtweh" "Rosiger Schimmer". Spätestens bei "rosiger Schimmer" wäre ich draußen, nicht weil es mich nicht genügend packt, sondern aus regelrechtem Widerwillen. Das bin ich ganz persönlich - mit einer Figur, die über ihre Liebe zu diesem rosigen Leuchten eingeführt wird, will ich nichts zu tun haben, außer es wäre ironisch gemeint, ich würde irgendeinen Hinweis darauf kriegen, dass der Autor da nicht 1: 1 innig mit seinem Protagonisten mitschwingt. Einen solchen Hinweis gibt es da nicht.
Ich persönlich denke bei diesem speziellen Licht immer an Brechts Ballade von Jakob Apfelböck:
In mildem Lichte Jakob Apfelböck
erschlug den Vater und die Mutter sein
Warum ich am Ende doch weiterlesen würde: Zunächst hätte ich es auf Seite zwei und drei immer weniger und weniger weiterlesen wollen. Das milde Licht leuchtet nämlich immer weiter rosig, der Protagonist, inzwischen äußerst erwachsen, hat keinerlei Ehrgeiz und geht immer zum Bahnhof und wartet auf das "ersehnte Licht", das ihm dann "eine Wohltat" ist. Der Mann ist definitiv nicht mein Typ. Auf drei unten wird es besser, weil es endlich eine weitere Person gibt, seine Tochter, ein hässliches Entlein, das in der Schule stiehlt. Schon besser, die könnte ich eventuell mögen. Und dann taucht am Bahnhof eine gewisse Inger auf, er duckt sich weg, "sie folgt ihm nicht", "Inger hatte ihn nicht erkannt". Das ist ein ordentlicher Cliffhanger- wenigstens der Editor des Leseprobenhefts hats drauf- ich würde weiterlesen um herauszufinden, was es mit Inger auf sich hat. (Aber beim nächsten Licht wäre ich wieder draußen!)
GERHARD FALKNER Romeo und Julia
1:nein
2:nein
Hier habe ich massive Schwierigkeiten mit der Sprache, das pfeffert mich gleich beim ersten Satz raus, in dem sich ein "ungewöhnlich seltsamer Vorfall" ereignet. Das ist ein Pleonasmus. Gleich im nächsten Satz "scheinen die Prozeduren seines Fortgangs so an den Haaren herbeigezogen...." Was, bitte schön könnten denn "Prozeduren eines Vorfalls" sein? Vielleicht ja die Prozeduren, die im Verlauf des Vorfalls angewandt wurden? Aber selbst das passt nicht so recht. Noch weniger kann ich mir vorstellen, wie Prozeduren an den Haaren herbeigezogen scheinen können. Und so gehts munter weiter. Es handelt sich hier allerdings um einen Ich-erzähler, ergo um Rollenprosa. Und dieser Erzähler redet enorm elaboriert, ist auch ein Schriftsteller, vielleicht soll es ja ein lächerlich schlechter Schriftsteller sein. Ich kriege aber nicht ausreichend Hinweise, wie die Sache gemeint sein soll. Mich von Anfang an damit herumschlagen zu müssen, ermüdet mich. Ich würde aufhören zu lesen.
P.S.: Ich weiß, dass Gerhard Falkner immer besonders wegen seiner Sprache gelobt wird. Kann sein, dass es total an mir liegt, dass ich verstimmt bin, weil ich die Absicht nicht spüre.
FRANZOBEL Das Floß der Medusa
1: ja
2: ja
Ja und ja. Drei Sprachebenen: leicht altertümlich, dann mitten rein Gegenwartssprache, dann funkt ein auf ironische Weise betulicher auktorialer Erzähler dazwischen und wendet sich direkt an die Leser - all das angenehm gemischt, nicht um zeigen, wie kunstfertig der Autor ist, sondern zum Vergnügen der Leser. Tolle Abenteuergeschichte, die sofort losgeht: Schiffbrüchige, die sich gerettet haben, indem sie ihre Kollegen aufgefressen haben- viele Kollegen. Letzter Satz der Leseprobe:- Die Welt muss wissen und sie wird erfahren, was wir erlebt haben.
Ich auf jeden Fall- Buch bestellt.
Morgen gehts weiter mit Monika Helfer, Christoph Höthker, Thomas Lehr
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