Freitag, 3. Juli 2015

Bachmannpreis 2015. Zweiter Tag, Monique Schwitter, Ronja von Rönne


An diesem Nachmittag tickt es in mir zweimal hintereinander anders als in der Jury. 

Monique Schwitter, „Esche“

Die Autorin ist Schauspielerin (wie auch Katerina Poladjan) und liest ausgezeichnet, prägnant, schöne Stimme. Überhaupt gibt es in diesem Jahr viel gute Vorträge, die Zeit, in der es als besonders genialisch galt, wenn Autoren sich in den eigenen Texten hauchend verschwurbelten und niedergedrückt vom Gewicht ihrer Kunst am Wasserglas hingen, scheint vorbei zu sein. Gott sei Dank.

Story: (da geht mein Problem los: ich wünsche mir offenbar mehr altmodische Story, mit Konflikt und Pointe, als sämtliche Mitglieder der Jury.) Also: Eine Icherzählerin geht mit dem schwulen Freund der Familie durch den Wald. Es ist ein „Friedwald“ wo man die Asche von Toten beerdigen kann, die neueste Mode. Die beiden suchen eine bestimmte Esche, der Freund, Nathanael (Thanatos, sic!), soll für seine demente Mutter entscheiden, ob sie hier begraben werden soll- neben ihrem Mann, dessen Geliebter und deren Mann, der wiederum als einziger von diesen Vieren schon tot ist und bereits hier liegt. „Verzwickte Liebesverhältnisse“: Der Vater hat sich nachdem die Mutter dement wurde, mit der Nachbarin zusammengetan, die die Mutter, als sie noch klar im Kopf war, nicht leiden konnte. Soll die Asche der Mutter also neben der Asche dieser beiden liegen?

Auf Seite drei kommt dann doch noch sowas wie der Beginn einer konventionellen Geschichte ( wo man, oder wenigsten ich, sich bereits ziemlich ungeduldig fragt, worum es denn eigentlich geht):

   „Was machen wir jetzt bloß?“ fragte er, als ich ihn letzte Woche anrief, und schnäuzte sich. „Kommst du klar, mit allem? Mit den Kindern? „Weiß ich nicht“, antwortete ich. Er bot an, uns abends zu besuchen, mit den Kindern zu spielen, sie ins Bett zu bringen, gemeinsam zu kochen.

Endlich eine Frage, der ich als Leser nachgehen kann: was ist passiert? Offenbar ist der Mann der Erzählerin weg, warum? Aber die Frage wird sofort wieder fallen gelassen. Absatz. Und weg ist sie. Die beiden, die da im Wald herumspazieren, erwähnen das mit keinem Wort. Über drei Seiten kommt es nicht mehr vor, so dass ich es nicht mehr als Bogen empfinde.

Stattdessen erzählt Nathanael von einem weiteren Dreieck in der Generation seiner Eltern: (all diese Erzählungen sind ebenso unaufgeregt wie die Kommentare, die die Erzählerin zu ihnen abgibt- als ginge es die beiden handelnden Personen nur ganz am Rande etwas an): 

Der Onkel Wolf und seine Bärbel. Die beiden waren eine Kinderliebe, Bärbel war sehr dick, der Onkel hat sie gefüttert, dafür durfte er sexuelle Sachen mit ihr machen. Sie wurde schwanger, kam ins Erziehungsheim, der Onkel hat eine andere geheiratet, die dünn war und Dinkelkekse aß. Nach vierzig Jahren trafen sich Onkel und Bärbel zufällig wieder, seitdem sind sie wieder ein Paar. Der Onkel füttert Bärbel, die jetzt schon so fett ist, dass sie nicht mehr aufstehen kann. Die Ehefrau des Onkels ist gestorben. („Feeding“ heißt diese Perversion, und die „Fütterer“ füttern dabei ihre Liebesobjekte bis zum Tod. Ich habe davon gehört, mich schauderts, aber welche Funktion hat das nun in der Geschichte? Und überhaupt: welche Geschichte?

Auf Seite 5 hat der Mann eine Nachricht auf dem AB hinterlassen:
„Er vermisse die Kinder. Und mich. Auch wenn ich das nicht hören wolle. Und er habe Neuigkeiten: Er komme voraussichtlich in zehn Tagen zurück.“
Aha. Sie will nicht hören, dass er sie vermisst. Hat sie ihn gebeten zu gehen? Trennung auf Zeit? Aber er kommt in zehn Tagen zurück. Wenn er das entscheiden kann, dann ging es doch nicht von ihr aus? Und wieder versinkt der kleine rote Faden um kommt nun bis ganz zum Ende nicht mehr vor.

Nathanael bringt- als Sandmann- die Kinder ins Bett. Der Größere träumt, dass er fliegt und abstürzt, hat am nächsten Tag arge Kopfschmerzen. Weil sie nicht wissen, ob das Kind nicht vielleicht aus dem Bett gefallen ist und eine Gehirnerschütterung hat, bringen sie ihn zum Arzt. Im Wartezimmer sitzt eine Bekannte (eine “sehr dumme Frau“), die glaubt, Nathanael sei der neue Partner der Erzählerin. Die weist sie zurecht: 

„ Philipp und ich sind verheiratet, es hat wahrscheinlich wenig Sinn, dir das zu erklären, aber wir tragen denselben Namen, dieselben Sorgen, dieselbe Verantwortung, und nun, leb wohl“.

Der Arzt sagt, das Kind habe nichts, es sei ja oft so, dass ihn die Eltern brauchen würden, nicht die Kinder. Auf dem Heimweg fragt Nathanael die Erzählerin, ob das, was sie über die Ehe gesagt hat, als Bekenntnis zu verstehen sei. Sie antwortet nicht, stattdessen zeigt sie ihm eine Esche am Kanal. Er sagt „sieht schön aus, wir sollten die hier nehmen, was meinst du?“. Ende.

Ich war überzeugt, dass ich irgendeinen Satz verpasst hätte. Dachte bei Beginn der Jurydiskussion, nun würde gleich irgendwer die Story zusammenfassen- mir erklären, warum der Mann weg war und was die Entscheidung am Ende bedeutet. Aber nichts! Im Gegenteil, niemand schien diesen Strang überhaupt bemerkt zu haben. Andererseits fehlte auch niemandem ein roter Faden. Alle waren begeistert von der, wie sie alle wiederholten, barocken Aufhäufung von „unerhörten“ Geschichten. Nun funktionierten die Geschichten in der Geschichte für mich aber auch nicht, denn auch das waren ja nur Situationsbeschreibungen ohne jeglichen Konflikt. Wieso ticke ich auf einmal so anders? Fehlt mir ein literarischer Schlüssel? (Abgesehen davon, dass ich den Text sprachlich sehr schön fand, fehlerfrei – aber er war mir egal, löste nichts aus.)

Eigentlich glaube ich, dass die Story so gemeint ist: Frau fragt sich, ob sie sich von ihrem Mann trennen soll. Geht mit schwulem Freund über den Friedhof. Sie muss dran denken, dass es die „normale“ Konvention für Beerdigung nicht mehr gibt. Die Kirche hat ja gesagt: „Bis dass der Tod euch scheidet“- und: Ehepaare gehören zusammen in ein Grab. Punktum. Jetzt hat eine diffuse Naturreligion übernommen, da können alle unter einem Baum liegen. Keine ordentlichen Institutionen mehr. Woran soll sie sich dann halten? Der schwule Hausfreund ist eigentlich der ideale Partner- nur dass es keinen Sex gibt. Und Sex ist ja nicht unbedingt schön- das Paar mit dem „Feeding“- da gibt es zwar das heute so wichtige beiderseitige Einverständnis- aber irgendwo ist das doch trotzdem nicht in Ordnung? Dann fällt das Kind aus dem Bett und hat einen Albtraum- vermutlich weil es lieber eine sichere Familie hätte als den schwulen Hausfreund als Sandmann. Daraufhin entscheidet die Frau sich für die Institution der Ehe. Nicht wegen „Liebe“ oder „Sex“, sondern weil sie eine Institution braucht, an die sie sich halten kann.

Diese Geschichte ist merkwürdig antiklimaktisch, und die Autorin hat soviel wie möglich mit Auslassungen gearbeitet. Dabei hat sie – jedenfalls für mich- ein bisschen zu viel weggelassen. Die Ängste der Icherzählerin waren für mich nicht nachvollziehbar. In der Jury sahen die meisten in Alt-68er Manier barocke Freuden in der alten Generation. Das hat ihnen gefallen- ich glaube aber, das ist nicht das, was in der Erzählerin vorgehen sollte um die „Story“ voranzutreiben. Einzig der jüngere, dünn und schweizerisch- asketisch wirkende Juri Steiner war von den Schrecken und der Lieblosigkeit der Beziehungen in der älteren Generation erschüttert…


Ronja von Rönne, „Welt am Sonntag“


Hier wiederum fast nur Naserümpfen in der Jury. Ich hingegen fand das zwar auch keine „große Literatur“- habe aber mindestens zehnmal laut gelacht. Noch öfter und vergnügter als bei Nora Gomringer.

Wieder eine Icherzählerin. Keine Story sondern eine Schimpftirade. Ein – teilweises- Alter ego der Autorin verbringt den Sonntag in Karlruhe, schreibt auf die „to do“-Liste für den Tag: „hassen“ und schimpft dann auf alles und jedes. Sehr sehr lustig!! Klar ist es am einfachsten aus enthemmtem Geschimpfe Witz zu ziehen, aber das ist schon gekonnt- ein Pointenfeuerwerk! Eigentlich ein Text fürs Feuilleton.

Der Gestus: die gute alte Verzweiflung der Adoleszenz. Ich denke (genau wie Kastberger) sofort an Sallinger. Natürlich gibt es das in jeder Generation wieder. Jemand wird erwachsen und sieht, dass die Welt hohl und verlogen ist. Keine Authentizität, nirgends. Nur totale Einsamkeit und Idioten. Und man empfindet, man sei der Einzige, der wirklich fühlen könne, der Einzige, der das Entsetzen des Todes begriffen habe.

Mir geht es wie immer mit diesen wütenden Jugendtexten (wen sie gut sind): ich fühle mich genauso! Und ich bin sofort wieder in dieser Phase in meinem eigenen Leben und denke, dass ich danach nie mehr so heftig empfunden habe wie damals. Und ich beneide diese Jugend, die noch provozieren darf und nichts sein als wütend- weil es ja noch keine Verantwortung gibt und pures Dagegensein noch eine Tugend ist.

„Sie wollen nicht zuschlagen, sie wollen nicht herumbrüllen, dabei sehe ich doch, dass sie Lust auf Gewalt haben, irgendwer muss ja die Millionen Shades-of-Grey-Bücher gekauft haben. 

„Ich will nur ein bisschen Krieg“, sage ich matt und ziehe einen Stuhl anden Tisch. 
„Hä?“, fragt das Mädchen mit dem NO PEGIDA-Shirt. 
„Ich will nur ein bisschen Krieg. Ich will nicht, dass alles so gemütlich ist“, sage ich und trinke ihr Bier aus.

Ahahahaha!!!! Ist das nicht herrlich?In der Jury scheint sich aber kaum wer zu freuen, sie haben auch nicht gelacht. Sind aber auch nicht provoziert- einzige Ausnahme: Meike Feßmann (Respekt!).

Das sind also keine verkappten Berufsjugendlichen, so wie ich. Aber so abgeklärt wie sie hier erscheinen (und ich denke gleich: „die Erwachsenen“) will ich nicht sein. Nein, ich will so jung sein wie Ronja von Rönne, so verzweifelt und so witzig.

Ein Unterschied zu früheren Texten, z.b. Sallinger: diese Erzählerin schimpft hauptsächlich auf Gleichaltrige, weniger auf Erwachsene. (Alternative Studentinnen: „Sie sind die Rädchen im System, die sich für den Sand halten“ )

Und die Autorin ist der Erzählerfigur gegenüber, mit der sie sehr viel gemeinsam hat, genauso gnadenlos zynisch wie gegen den Rest der Welt. Die Erzählerin muss nämlich „was leisten“, performt eine erfolgreiche Geschäftsfrau (die Ronja von Rönne ja ist), „hasst“ als Arbeitsaufgabe (und erstellt dabei den Hasstext, mit dem sie hier eingeladen wurde). Betrunken kriegt sie dann das heulende Elend und wäre doch gern geborgen in der Gruppe der doofen Alternativstudentinnen- geht aber nicht.

Also: die Provokation ist abgeperlt. Aber das ostentative Nicht-lustig-finden der Jury ist wahrscheinlich doch eine beleidigte Reaktion. Damit wird Ronja von Rönne wohl keinen Preis kriegen- aber viele, viele Aufträge. Und das verdient! Wer lachen will , (und sich jung fühlen) sollte den Text lesen!

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