Disclosure:
Wenn ich den Bachmannpreis anschaue, bin ich voller Neid. Ich würde viel lieber selbst dort lesen als zuschauen. Statt unvoreingenommen bin ich also prinzipiell eher missgünstig. Allerdings hoffe ich auch hier auf Texte, die mich begeistern und mir zeigen, was ich mir eigentlich von Literatur noch erhoffe- und mir einen Grund geben, selbst zu schreiben. Mir gefällt auch nicht NIE was. Ich war sowohl vom Siegertext 2013 von Katja Petrowskaya „Vielleicht Esther“ völlig begsistert, (und danach auch vom gleichnamigen Buch ), als auch von dem von Olga Martynova im Jahr davor. (Aber vielleicht kann ich nur Russinnen schätzen? Nein, ich war auch vom Text von Wolfgang Herrndorf hingerissen, „Diesseits des Van Allen Gürtels“ , der 2004 den Publikumspreis bekam, und habe danach alles von ihm gelesen. Dazwischen erinnere ich mich an fast nichts, aber ich erinnere mich generell fast nie an irgendetwas, wenn ich nicht darüber schreibe).
Tratsch: Diesmal
natürlich spannend: wer sind die Neuen in der Jury?
Zunächst der Skandal: Daniela Strigl, die ich, wie die
meisten, sehr gern mochte, hat nach dem Abgang von Burkhard Spinnen nicht den
Vorsitz der Jury bekommen, wie es alle und wohl auch sie selbst, erwartet
hatten, sondern Hubert Winkels wurde Vorsitzender. Daraufhin hat sie sich
gleich ganz aus der Jury verabschiedet.
Wer war daran Schuld? Ich habe nirgends gelesen, wer überhaupt zuständig für die
Jury ist. Wer beruft neue Juroren? Wer bestimmt den Vorsitzenden? Man liest
immer ganz ausführlich, wie die Auswahl der Autoren vonstattengeht, aber nie,
wie die Jury gewählt wird. Weiß das jemand?
Auf Hubert Winkels sind ja viele schlecht zu sprechen, weil
er ein enormer Gschaftlhuber im Literaturbetrieb ist, überall dabei ist, wo es
etwas zu sagen gibt und auch noch in einem Interview zugegeben hat, zum lesen
käme er nur noch in den immer kürzeren Pausen zwischen seinen Auftritten. Tja. ...
Ich mag ihn, finde seine Diskussionsbeiträge meist gut und interessant, und
seine (immer ironisch angehauchte) Arroganz charmant. (Ich bin – natürlich - Feministin. Ich bin ja
eine Frau, und verstehe nicht, wie irgendeine Frau nicht Anspruch auf
dieselben Rechte und Chancen erheben könnte, wie sie Männer haben. Aber Männer,
die in vorauseilendem Gehorsam so tun, als seien ihnen ihre Privilegien zuwider, imponieren mir deswegen noch lang nicht- im Gegenteil) (Außerdem gefällt mir die Nase von Hubert Winkels, wie beeindruckend schief sie aus dem Gesicht
ragt, und dass die Nasenspitze ein eigenständiger Teil seiner Mimik ist und sich mitbewegt, wenn er redet. Sympathien beruhen ja zum großen Teil auf solchen
physischen Details, meist steckt da wohl
nicht mehr ergründliches, frühkindliches Zeug dahinter. Ich vertraue zum Beispiel automatisch allen Leuten
mit abstehenden Ohren, besonders wenn die Ränder der Ohren fransig sind, glaube
ich ihnen alles, auch wider jede gegenteilige Evidenz, warum weiß ich nicht…. )
Russin, sie müsste mir also gefallen. Tut sie auch,
tatsächlich haben alle diese Russinnen (oder jedenfalls die, die beim
Bachmannpreis lesen) einen melancholischen Humor, der mich an den Wiener
Tonfall vom Anfang des vorigen Jahrhunderts erinnert. Tschechow und Schnitzler haben
viel gemeinsam, dieser leichte Ton, die Auslassungen, Schlittschuhlaufen auf
dünnem Eis. Auch Katharina Poladjan sucht beim Schreiben nach Leichtigkeit, es
ist aber moderner bei ihr, Film noir, cool, bloß nichts aussprechen. (Man
merkt: sie schriebe gern wie Jazz- und tatsächlich kriegt sie in der Diskussion
den Vergleich mit Miles Davis).
Ich habe sie schon vor zwei Monaten in Berlin beim Wettlesen
für den Döblinpreis aus demselben Roman lesen hören. (Den Preis hat dann
Natscha Wodin gewonnen, deren Stil ich überhaupt nicht mag, ich mag also doch
nicht ALLE Russinnen)- und da hat K.P. einen Text vom Anfang des Buches
gelesen. Das ist gut für mich, dadurch kenne ich die Figuren schon, heute hat
sie nämlich einen späteren Abschnitt vorgelesen, und in der Diskussion fanden
einige, der Text sei überladen, weil sie so viel auf einmal über die Figuren aufnehmen
mussten- insofern war die Auswahl dieser späteren Stelle vielleicht nicht ideal.
Die Figuren- und die Story: Anna, eine Frau in mittleren Jahren, ist in
Trauer um ihren vor ein paar Monaten verstorbenen Mann, den sie sehr geliebt
hat. Sie begegnet in einem Salzburger Hotel einem Kommissar, der gerade wegen
einer Konferenz in der Stadt ist - und die beiden brechen aus, aus dem, was sie
tun sollten (Trauerfeier für den toten Mann bzw. Konferenz) fahren weg und verbringen
die Nacht miteinander. In der Früh wacht der Kommissar auf, Anna ist weg- und zwar
mitsamt seinem Auto. Erzählt wird abwechselnd aus seiner und aus ihrer
Perspektive, aber beide sind auch von innen „cool“- obwohl es klar wird, dass
die Nacht sehr hot war.
Schön fand ich, dass am Morgen
nach einer solchen Nacht nicht er weg
ist, wie üblich, sondern sie. Nicht nur weg, sie hat sich auch sein Auto
genommen. Schön auch, dass K.P. die Situation nicht einfach umdreht, es nicht
so konstruiert, als sei die spiegelbildliche Situation psychologisch für eine
Frau ebenso normal, wie man sie bei einem Mann empfinden würde. Anna kann sich
nicht binden, obwohl ihr der Kommissar gefällt, weil sie noch an ihrem toten
Mann hängt- und findet sich dadurch in einer klassischen Konstellation in der
Rolle des Mannes wieder.
Mir gefällt es also- aber ich bin
auch irritiert. Ich würde mir wünschen, dass es ein Krimi wird. Den würde ich sofort
lesen wollen. Ich fürchte aber, dass es kein Krimi ist, dass es außer Annas
verstorbenem Ehemann keine weitere Leiche geben wird.
Warum wünsche ich mir, der Text
möge zum Krimi werden? Hat wohl mit der Coolness zu tun. Es ist die klassische
Coolness der desillusionierten, melancholischen Detektivromane, ist wie bei
Chandler, zum Beispiel. Diese Detektive leiden an der Welt und können sich an
niemanden binden, solange die Welt so schlecht ist, wie sie ist, aber sie
würden darüber niemals ein Wort verlieren. Sie werden es nicht einmal denken, und
falls ein Text mich in ihre inneren Monologe hineinlässt, ist da auch nur
Coolness und Zynismus. Cool bedeutet: eine Menge Dinge werden nur über die
Bande gespielt, aber dazu braucht es eine Bande!! Im Krimi: der Detektiv kämpft
ganz ohne Belohnung drum, dass der Böse zur Strecke gebracht wird.. „nur so“.
Das ist die Bande. Dadurch weiß ich, dass er sich nach einer besseren Welt
sehnt- und solange es die nicht gibt, kann er nicht bürgerlich und sesshaft
werden, denn die bürgerlichen Institutionen sind durch und durch korrupt (und
die sogenannte Liebe ist eine von ihnen) - das ist die „große Sache“,
dargestellt im Mordfall, der einem ansonsten egal sein kann.
(Gut gefallen hat mir auf dieser
Linie der Polizeiruf von Christian Petzold, „Kreise“, am vorigen Sonntag.
Matthias Brandt und Barbara Auer als desillusionierte mittelalterliche Kommissare.
Der Film geht nur um die Liebesgeschichte zwischen den beiden- die die Frau
beendet, bevor überhaupt was passiert. Beide sind total cool, nichts wird
ausgesprochen, nur Stimmung- die „Bande“ über die sie spielen: die ewigen
Kreise, in denen sich der Mittelstand bewegt wie eine Modelleisenbahn, und die
den Mörder zum Mörder gemacht haben)
Beim Döblinpreis, wo das Publikum
mitdiskutieren durfte, hat ein sehr junger, sehr ernsthafter Jüngling ,
offenbar ein Kämpfer für die wahre Literatur, nach der Lesung von K.P. empört
in die Runde geworfen, dass ihr Text ihm „zu wenig“ sei- und das sagte er sehr
wütend, - weil es da ja „um nichts GINGE!“ Das sei vielleicht gut geschrieben
und unterhaltsam, aber das hier sei doch ein LITERATURpreis, und bei Literatur
müsse es doch um etwas gehen, da wünsche er sich mehr. Und Katherina Poladjan
sagte drauf mit einem kleinen sophisticated Lächeln, das verstehe sie, das gehe
ihr auch oft so. (Fand ich bezaubernd gemacht, so klein und höflich war das,
dass der junge Mann noch nicht einmal verstand, wie herablassend sie war). Ich
war also auf ihrer Seite - aber auch gerührt von dem jungen Mann, der noch jung
genug war, um eine hohe/ tiefe Bedeutung einzufordern. Er erwartete noch von
der Literatur, dass sie ihn gefälligst retten solle aus seinem unerleuchteten
Jammertal. Und vielleicht ist es das, vielleicht bin ich, obwohl keineswegs
mehr so jung, insgeheim noch genauso.
So jung (und störrisch naiv) wie
der junge Mann, oder so altmodisch wie meine Mutter. Sie ist 85, Akademikerin, und
liebt die Oxfordkrimis mit Inspector Lewis. Als es keine neuen Folgen mehr gab,
habe ich versucht, ihr „Downton Abbey“ als Ersatz schmackhaft zu machen.
Bildung, der Untergang des Adels, ironische Behandlung von Klassengegensätzen- gute
britische Schauspieler, hätte ja alles gepasst. Aber nach der ersten Folge war
sie irritiert, nach der zweiten empört: wo ist der Mord?, fragte sie. Es gibt
keinen, musste ich ihr gestehen. -Aber worum geht es dann? – Darum, wie die
Leute miteinander umgehen, kleine Intrigen, Liebesgeschichten, Oberschicht
versus Unterschicht, genau wie bei den Oxfordkrimis eigentlich. Sie, empört:
Aber doch nicht ohne Mord! Na, das ist nix!
(Und jetzt gerade stelle ich
fest: im Grunde empfinde ich das bei K.P. genau wie meine Mutter bei „Downton
Abbey“- oder wie der junge Mann auf der Lesung. Mir fehlt was!- die Bande)
Aus der Jurydiskussion:
Hubert Winkels: ungefähr so: In der Geschichte werde ihm zu
viel erzählt für ein bisschen Sex, das sei „literarischer Missbrauch eines One
night stands“.
Nationale Unterschiede:
Diskutiert wird, ob der Kommissar, der am Ende des Textes
statt nach unten ins Tal nach oben auf den Berg fährt, und dort in ein Gewitter
gerät, am Ende stirbt. (no way! Bin nicht im Entferntesten auf diese Idee
gekommen)
Dazu sagt der (halb) Schweizer Juror Stefan Gmünder: wir Schweizer
haben eine Bergliteratur- wenn einer in die Berge geht, dann wartet dort der
Tod oder der Wahnsinn oder beides. Meistens beides.
Der neue österreichische Juror, Klaus Kastberger, mag den
Text, findet ihn aber ein bisschen brav.
An manchen Stellen hätte es für ihn mehr zur Sache gehen können (ihm
gefällt, dass Anne über die Pflanzen am Grab ihres Mannes zum Sohn sagt: „schau
Theo, wie schön alles auf deinem Vater wächst!“ Jaha, die Österreicher! Der
Satz ist mir auch gleich positiv aufgefallen!) Darauf antwortet der Schweizer Juror, Juri
Steiner : Sex lässt sich schwer beschreiben, da kann man nicht so leicht zur
Sache gehen, da wird’s ein bisschen pornografisch und vielleicht ein bisschen
mühsam, also ich denke, das Österreichische in Ihnen, war da vielleicht ein
bisschen zu schnell, Herr Kastberger, ich als Schweizer lese den Text
mehr französisch. “
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen